• Politik
  • »Sozialer Arbeitsmarkt«

Heil plant Jobprogramm für Langzeitarbeitslose

Lohnkostenzuschüsse sollen 150.000 Stellen über fünf Jahre subventionieren / Simone Lange: Debatte über Hartz IV nicht abwürgen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will bis zum Sommer das Gesetz für einen »sozialen Arbeitsmarkt« vorlegen, von dem 150.000 Langzeitarbeitslose profitieren sollen. Dabei geht es um Lohnkostenzuschüsse für Beschäftigung in Unternehmen, Kommunen oder Wohlfahrtsverbänden, wie Heil am Donnerstag in Berlin sagte. Das Förderprogramm soll vier Milliarden Euro umfassen.

Die Lohnkostenzuschüsse sollen nach Heils Vorstellungen über einen Zeitraum von fünf Jahren gewährt werden, dabei allerdings allmählich abschmelzen. Damit solle verhindert werden, dass es zu einer verfestigten Subventionierung komme.

Konkret plant Heil eine Neuregelung im Sozialgesetzbuch II, mit der die bislang im Rahmen von Modellprojekten mögliche Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Regelleistung werden soll. Der sogenannte soziale Arbeitsmarkt »kann Türen für den Arbeitsmarkt öffnen und Wege aus der Grundsicherung ebnen«, sagte der Minister.

Schneider: Höchste Zeit, Menschen eine Perspektive zu schaffen

Der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßte das Vorhaben von Heil. »Wir haben hunderttausende langzeitarbeitslose Menschen, die kaum noch auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind«, erklärte der Verbandshauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. »Es ist höchste Zeit, dass Politik auch für diese Menschen Perspektiven schafft.«

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, unterstützte die Idee eines sozialen Arbeitsmarkts für Langzeitarbeitslose. Allerdings dürften die befristeten staatlich subventionierten Jobs nur denen angeboten werden, »die es sehr schwer auf dem normalen Arbeitsmarkt haben«, sagte Scheele dem »Spiegel« laut Vorabmeldung vom Freitag. »Das sind unseren Forschern zufolge bis zu 200.000 Personen.«

Mit Blick auf Forderungen aus seiner eigenen Partei nach einer Abschaffung des bisherigen Hartz-IV-Systems fügte Heil hinzu, die sozialen Sicherungssysteme sollten neu ausgerichtet und weiter entwickelt werden. Bei den umstrittenen Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger etwa könne es an der einen oder anderen Stelle Änderungen geben. Es solle allerdings bei den Mitwirkungspflichten der Leistungsempfänger bleiben. Hartz-IV-Bezieher können mit Sanktionen belegt werden, wenn sie zum Beispiel eine Bewerbungsmöglichkeit nicht wahrnehmen oder einen Termin beim Jobcenter verpassen.

Die SPD diskutiert derzeit intensiv über Armut und das Zukunft des Sozialsystems. Der kommissarische Parteichef und Bundesfinanzminister Olaf Scholz lehnte in der Debatte eine Abschaffung von Hartz IV ab. Für die SPD bleibe es beim Kernprinzip des »Fordern und Förderns« der Arbeitsmarktreform, sagte Scholz den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch seine Parteikollegen, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und SPD-Vize Ralf Stegner, stellten »das Prinzip des Förderns und Forderns nicht infrage«, betonte Scholz. Müller und Stegner hatten jüngst ein Ende von Hartz IV in seiner bisherigen Form gefordert.

Müller sprach sich zudem für ein »solidarisches Grundeinkommen« aus, bei dem die Bezieher einer gemeinnützigen Arbeit nachgehen und dafür höhere Leistungen als beim Arbeitslosengeld II erhalten. Das Modell des »sozialen Arbeitsmarktes« sei weiter gefasst als das von Müller vorgeschlagene »solidarische Grundeinkommen«, das auf gemeinnützige Tätigkeit ausgerichtet sei, sagte Heil.

Lange: »Es ist ein fataler Fehler, das so abzuwürgen.«

Die Kandidatin für den SPD-Vorsitz, Simone Lange, zeigte sich empört über die Aussagen des kommissarischen SPD-Chefs Scholz, der eine grundlegende Hartz-IV-Reform derzeit ablehnt. »Ich erwarte von einem Parteivorsitzenden, das ist er aktuell ja noch, dass wir über dieses Thema offen diskutieren«, sagte die Flensburger Oberbürgermeisterin der Deutschen Presse-Agentur. »Es ist ein fataler Fehler, das so abzuwürgen.« Man müsse offen über eine Abschaffung reden und über die grundlegende Reform der Sozialgesetzgebung.

Lange tritt in Wiesbaden gegen SPD-Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles an – erstmals in 155 Jahren Parteigeschichte wird eine Frau die SPD führen. Während Nahles wie Scholz bisher Hartz IV nicht in Frage stellt, will Lange eine breite Debatte darüber führen.

LINKEN-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nannte es ein »Trauerspiel«, dass die SPD-Spitze weiter auf Hartz IV setze. »Weder eine Bekämpfung der wachsenden Armut noch wirksame Maßnahmen gegen die anhaltende Massenarbeitslosigkeit sind mit Hartz IV in Aussicht«, kritisierte sie.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, forderte von der Politik mehr Engagement bei der Armutsbekämpfung. In einem Land, in dem das private Geldvermögen auf 5,8 Billionen Euro angestiegen sei, »dürfen wir es nicht zulassen, dass Schwache gegen Schwache ausgespielt werden, sondern müssen einen sozialen Ausgleich finden, der den Zusammenhalt und das Miteinander stärkt«, sagte Bedford-Strohm den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.

Im Zuge der Arbeitsmarktreformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) waren Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur neuen Grundsicherung (Hartz IV) zusammengelegt worden. Im Februar dieses Jahres bekamen 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Davon waren 4,26 Millionen erwerbsfähig. Rund zwei Drittel bekamen Hartz IV, ohne arbeitslos zu sein, etwa weil sie einem Minijob nachgingen (Aufstocker), Schule oder Hochschule besuchten oder wegen Krankheit arbeitsunfähig waren. Für Alleinstehende gilt derzeit der Regelsatz von 416 Euro im Monat. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.