Felsensteins Erbe
Stefan Herheim inszenierte in der Komischen Oper Jacques Offenbachs »Ritter Blaubart«
Endlich wieder »Ritter Blaubart« an der Komischen Oper! Einst Glanzpunkt der Felsenstein-Bühne, erhielt das Werk nun nach fast 30 Jahren Pause neuen Atem. Stefan Herheim, international renommiert, gebührt der Dank, Jacques Offenbachs »Ritter« opulent auf die Bühne gebracht zu haben. Er inszenierte bisher nur Opern, dies ist seine erste Operettenarbeit.
In bester Erinnerung ist der »Ritter Blaubart«, den Steffen Piontek voriges Jahr für Cottbus machte: eine höchst eigenschöpferische Huldigung des großen, in der DDR hochgeehrten Walter Felsenstein. Dessen Denk- und Gestaltungsweise schaute selbst in Details heraus. Wilfried Werz’ damalige Ausstattung lebte neu auf. Volkstümliches Treiben herrschte am Hof. Den König Bobéche sang beherzt Shiw Taniguchi. Und mit Carola Fischer war eine Boulotte zu erleben, wie sie frecher, zersetzerischer nicht sein konnte. Das Stück ist noch auf dem Spielplan.
Die Herheim-Inszenierung ist Teil der Feier zum 70-jährigen Bestehen der Komischen Oper. Am 23. Dezember 1947 eröffnete sie mit der »Fledermaus« von Johann Strauß. Walter Felsenstein hatte sie inszeniert. Eine ganze Offenbachiade kam die folgenden Jahre über in seiner Regie und faszinierte das Publikum aus Ost und West: »Orpheus in der Unterwelt« (1948), »Pariser Leben« (1951), »Hoffmanns Erzählungen« (1958), schließlich in zwei Versionen »Ritter Blaubart« (1963, 1965). Die Inszenierungen schlugen derart ein, dass an dem außerordentlichen Können des Mannes und seiner Konzeption des »realistischen Musiktheaters« niemand mehr Zweifel hegte. Der »Blaubart« erlebte bis 1992 in wechselnden Besetzungen an die 400 Vorstellungen.
Bevor Felsenstein das Theater übernahm, hatte er schon einige Werke Offenbachs auf deutsche und ausländische Bühnen gebracht (Freiburg, Basel, Köln, Frankfurt am Main). Erfahrung war also genügend da. Gegenüber der benachbarten Staatsoper Unter den Linden pflegte er, seine Vorlagen auf realistische Gehalte zu prüfen. Er ließ die Libretti ins Deutsche übertragen, reicherte sie textlich und musikalisch an. Überdies achtete er wie nur ganz wenige seiner Zeit streng darauf, dass die gesungenen Texte auch verstanden würden. Die Leute sollten den Inhalt der Oper kapieren und nicht bloß die Musik genießen.
Ähnlich und doch ganz anders das Herheim-Angebot. Hier regiert ganz die musikalische Farce, die Verzerrung, die irre, ja blöde Übertreibung (ständiges Gewackel). Die Bühne handelt aufs Komischste vom Klassenkampf zwischen Hof und Volk, ist aber ganz dem Filz der Märchen und horriblen Geschichten verhaftet. Gevatter Tod (Wolfgang Häntsch) thront auf dem Kutschbock und lenkt den Theaterwagen mit den Totengerippen in die grausige, am Ende befreite Zukunft. Vorgespannt als Gaul der abgebrochene, hinkende Engel Cupido mit zerfledderten weißen Flügeln (Sprecher: Rüdiger Frank) - eine Marionette am Draht. Der Kleine ist großmäulig und strotzt vor Weisheit. Gevatter und er führen in ungelenken Gesten und Gebärden durch die Oper. Der Wagen öffnet sich, und Theaterbilder kommen aus ihm wie Tote aus dem Grab (Bühnenbild: Christof Hetzer). Von Akt zu Akt wechseln sie und verraten kaum Helles.
Atmosphärisch todesschwanger selbst die fröhlichen Spielereien zwischen Hirt und Fleurette. Das Dorfmädchen entpuppt sich als verloren geglaubte Prinzessin, was die Regeln bei Hofe und die barocken Verhaltensweisen auseinanderfliegen lässt. Ritter Blaubart (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) ist der Hauptübeltäter. Er lässt sich die Weiber kommen, heiratet sie und lässt sie vom Alchimisten Popolani vergiften und gut bewacht verschwinden. Boulotte soll die vorläufig Letzte sein. Aber die wehrt sich mit den anderen Leichen, die der Grotte entsteigen und als hellwache, schöne Zigeunerinnen tanzend den Hof in die Enge treiben. Dazu treten die fünf analogen männlichen »Leichen«, die Graf Oscar, Minister des Königs (Philipp Meierhöfer), auf dem Kerbholz hat und reumütig freigibt.
Die schöne Sarah Ferede als Boulotte, rothaarig, energisch, organisierendes Subjekt der aus dem Schlaf geweckten Weiber, ist die Figur des Aufstands. Müsste sie in den vorigen Akten nicht immer mal die gespreizten Beine hochrecken, sie wäre der Star der Aufführung geworden.
Auch bei Herheim gibt es nach Art Felsensteins Texteinschübe und Sprachvermischungen. Tom Erik Lie als Popolani mit Barett, in Schwarz gehüllt und ewig hinter Röcken her, bricht sich ein schmieriges Deutsch-Italienisch aus den Hals. Das Dreigestirn aus Peter Renz als König Bobéche, Johannes Dunz als Prinz Saphir (zuvor der Hirte Daphnis) und Vera Lotte-Böcker als Prinzessin Hermia (vorher Fleurette als die Geliebte des Hirten) übt sich in barockem Französisch, vermischt mit deutschen Melodiebildungen.
Gewollt erscheinen die Aktualisierungen in Akt zwei und drei. Aus Klötzern baut die Herrschaft das Berliner Schloss auf, haut es wieder weg und baut von Neuem (Akt zwei). Der König ist unzufrieden mit den Turmzeichen: Mercedes-Stern, Deutsche Bank-Symbol. Er lässt lediglich das christliche Kreuz gelten. Wenn’s weiter nichts ist. Allzu dürftig und platt derlei. Da fehlt die Würze.
Was passiert in Akt drei? In das klangliche Begehren der Erweckten mischen sich Themata aus der DDR-Hymne: »Auferstanden aus Ruinen, und der Zukunft zugewandt«. Dann deutlich hörbar das »Venceremos« der chilenischen Revolutionshymne, eingearbeitet in die Orchesterpartitur. Wer da wohl Hand angelegt hat? Der Dirigent sicher nicht. Stefan Soltesz war für Clemens Flick eingesprungen, nachdem es Zeck im Team gegeben haben soll. Er lieferte mit dem Hausorchester eine blitzsaubere Wiedergabe der Musiknummern.
Fröhlich wird aus der Losbüchse der Zitate gezogen. Gevatter Tod ist dabei respektlos, wie es sich geziemt: »Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns endlich Tote sehn.« Viel hat er mit der Sense nicht zu tun. Zumeist lungert er tatenlos in der schwarzen Nische oder dödelt am Rand mit dem Männchen an den Strippen. Gegen Ende von Akt eins darf er einmal - Aspekt der Deformationstechnik, die an dieser Stelle geistig kulminiert - richtig die Sau rauslassen und das Terrain des Werkes gänzlich verlassen: Scheißoperette, langweilig, so ein Mist, was hier läuft, die Leute haben es satt und so fort in diesem Müllkastenstil. Operette lebt davon, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Jede ihre Seichtheiten darf als Schlag auf die eigene Backe gewertet werden.
Obwohl Blaubart sie umbringen wollte, geht Boulette mit ihm Hand in Hand ab. Mit dem fröhlich-makabren Donner und Daus drum herum kein befreiendes Ende. Im Ganzen wirkte das Projekt viel zu ambitioniert. Die Akt-Finali freilich, wo die Gesamtheit sich aufs Heftigste ins Zeug legen muss, gelangen vorzüglich. Das geht auch nicht anders. Wer die vermasselt, sollte seinen Hut nehmen.
Nächste Vorstellungen: 22. und 27. April
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