- Kommentare
- Texte redigieren
Worthülsen und überflüssige Details
Wolfgang Hübner erklärt, warum der Beruf des Zeitungsredakteurs ein hartes Brot ist
Selten erreicht ein Artikel die Redaktion so, wie er am Ende gedruckt wird. Irgendetwas muss immer geändert werden. Zum Beispiel, weil der gelieferte Text zu lang ist. Wenn etwa ein Kriminalfall passiert ist und ein Autor einen spannenden Bericht darüber anbietet, sagt die Redaktion natürlich Ja. Dann trifft der Artikel ein, und das Leiden beginnt. Redakteur kommt von redigieren; redigieren kommt von redigere; redigere bedeutet: etwas in Ordnung bringen. Der Redakteur liest das Manuskript und versucht, daraus schlau zu werden. Offenbar handelt es sich bei dem Kriminalfall um eine Art Kindesentführung, womöglich ist Missbrauch im Spiel, jedenfalls ist das Kind leider nicht mehr am Leben. Mehr weiß man noch nicht, der genaue Tathergang ist unklar, die Ermittlungen laufen noch. Die Tat geschah nachts, Zeugenaussagen sind schwammig.
Statt diesen Kenntnisstand in knappe, auf das Nötige beschränkte Worte zu fassen, lässt der Autor seine Fantasie spielen. Er malt Details aus, ergeht sich - wahrscheinlich um Zeilen zu schinden - in überflüssigen Einzelheiten und simuliert den investigativen Reporter. Natürlich durchschaut der Redakteur diese Tricks, denn er hat ja früher, als er sich noch im Außendienst die Fersen ablief, selbst so gearbeitet. Also nimmt er sich das weitschweifige Manuskript ohne falsche Rücksicht zur Brust. Ganz offensichtlich erfundene Dialoge (»Du liebes Kind, komm geh mit mir«), Details, die der Autor nie im Leben recherchiert haben kann (In dürren Blättern säuselt der Wind) streicht der Redakteur erbarmungslos.
Sinnlose Wiederholungen (Mein Vater, mein Vater; Mein Sohn, mein Sohn) eliminiert er ebenso wie unbewiesene Behauptungen (Erlkönig hat mir ein Leids getan), zumal der Redakteur weiß, dass die Namen von Beschuldigten nicht vollständig genannt werden dürfen, solange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind, sodass höchstens von E. die Rede sein dürfte, wenn man keine Unterlassungsklage riskieren will. Auch sprachliche Überspanntheiten (Mutter hat manch gülden Gewand), die wohl aus dem Geltungsbedürfnis des Autors entspringen, und redundante Passagen (Es scheinen die alten Weiden so grau) beseitigt der Redakteur konsequent.
Immerhin lässt er in einem Anflug von kollegialem Mitgefühl wenigstens eine Marotte des Autors durchgehen, der seinen Bericht zu allem Überfluss auch noch in Reimform abgefasst hat. Von mir aus, mal was anderes, denkt der Redakteur und setzt die bearbeitete Fassung, die er nun ganz passabel findet, in die Spalte mit den Polizeinachrichten:
Nacht und Wind, / Vater, Kind./ Wohl im Arm, / sicher, warm./
Kron’ und Schweif? / Nebelstreif!/
Reizgestalt! / Braucht’s Gewalt?/ Müh und Not. / Kind war tot.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.