Die schwarzen Geister lauern schon

Party, Krise, Niedergang: In Dresden inszenierte Manfred Weiß das Musical-Meisterwerk »Cabaret«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Glitzernd die Nacht und schwarz der Tag. Aus diesem Gemisch kündigen sich Gespenster an, und nur einer scheint das zu wissen oder wenigstens zu ahnen: der Conférencier. Er begrüßt die Madames et Monsieurs, indem er seinen Kopf durch den Vorhang steckt und gaukelt, hinter dem Stoff würde sich auftun, was sich die Menschenherzen schon immer gewünscht hätten: ein Brausen des Vergnügens, der Tänze, der Leidenschaften. Schmeichlerisch sein Blick, listig sein Sprechen. Dann reißt der Vorhang auf.

Die Beine der jugendlichen Damen und Herren gehen hoch wie Feuerwerk. Silvesterparty 1929/30 in Berlin. Hotten ist angesagt, Saufen, Liebe. Die Welt der Vergnügung ist aus dem Häuschen. Desgleichen die Krise hinter den Werktoren, den Bankschaltern, den Mauern der Arbeiterwohnungen in der Welt. Aber die bemerkt hier keiner. Vier verwechselbare High-Heels-Straps-Weiber, derb, frech, lasziv, unheimlich gelenkig, und dazugehörige Jünglinge, der eine als Spanier, der nächste als Strichjunge, der dritte als kleiner Haut-den-Lukas-Kraftmeier, der letzte als bunt geschminkter Habenichts ausstaffiert, bieten die schmissigsten, geilsten Nummern, die Berlin bei Nacht kennt. So hebt »Cabaret« auf der Dresdner Bühne an. Als Cabaret-Bühne auf der Bühne. Spiel im Spiel. Aber nicht durchweg. Die Szenerie blendet auch in die Privatsphäre von Figuren.

Das Stück ist ein Meisterwerk. Es wertet die Musical-Branche unerhört auf. Musikalisch ist es dem Broadway verpflichtet und steht zugleich weit darüber. Sein Geburtsort ist New York. Dort fand 1966 die Uraufführung in der Produktion und Regie von Harold Prince statt. »Cabaret« erlangte Weltruhm durch den Film mit der unübertrefflichen Liza Minelli. Wer ihn gesehen hat, wird ihre schwarz umränderten Augen und schneidenden Songs nicht vergessen. Plattenaufnahmen folgten, auch Amiga brachte in Lizenz jene mit Liza Minelli heraus. Einige Songs wie »Money«, »Don’t tell Mama« oder »Maybe this time« erschienen weltweit in hundertfältigen Arrangements. Edelshows präsentierten sie als Flitterwerk, Bands in den Vorstädten und Problemzonen hingegen in ihren ursprünglichen Bedeutungen.

»Cabaret« sieht Akteure des Schauspiels, des Gesangs, des Tanzes und der Instrumentalmusik vor. Auf der Studiobühne der Semperoper, »Semper II«, kam eine »Dresdner Fassung« in Arrangements von Max Renne, altbewährter Macher in diesem Genre. Die große Orchesterbesetzung des Originals kam nicht in Frage. Mehr als eine Blechband mit Gitarre, Banjo, Kontrabass, Schlagzeug etc. ließ die Studiobühne nicht zu. Die Musiker spielen hinterm Vorhang, nicht im »Kit Kat Klub« selber, wo die Story hauptsächlich stattfindet, was ihre Wirkung etwas mindert.

Joe Masteroffs, Fred Ebbs und John Kanders Musical geht stofflich hauptsächlich zurück auf Christopher Isherwoods Roman »Goodbye Berlin« (1939). Isherwood, ab 1930 mehrfach Gast in Berlin, nutzte damals die Gelegenheit, seine Beobachtungen aufzuschreiben. Er gibt Sittenbilder und berührt die gesellschaftlichen Kämpfe aus der Perspektive des Amerikaners, der mehr wissen will und hinter die Dinge sieht.

Daraus entwickelten die Autoren die Figur des Cliff Bradshaw, ein Schriftsteller, der sich im »Kit Kat Klub« in die Sängerin und Tänzerin Sally Bowles verliebt. Sie ist so gut, dass ihr eine große Karriere bevorzustehen scheint. Cliff findet Unterkunft bei der Vermieterin Frau Schneider. Die Wohnung avanciert zum Puff. Denn eines der vier Girls mietet sich dort ein und begeilt einen Matrosen nach dem anderen in die Wohnung. Was der Frau Schneider, als sie selbst verliebt ist, nicht unrecht scheint. Sally und Cliff, eine kurze Romanze mit tragischem Ausgang.

Drama und Musical, das beißt sich hier nicht. Die Frau wird schwanger. Auf die Arbeit im Klub will sie aber nicht verzichten und bleibt. Diese Liebe kennt aus gutem Grund keine Liebesduette. Cliff hat auch keine die Figur charakterisierenden Songs, seine Lieder wirken eher blass. Er verlässt Berlin nicht, bevor er in ein Handgemenge mit uniformierten Nazis gerät, die ihn blutig schlagen. Tief entsetzt, geht er in sich, sieht für den Bestand ihrer Liebe nur einen Weg, mit Sally Deutschland zu verlassen. Sie aber, obwohl sie ihn bedauert und seine Wunden pflegt, begreift nichts.

Gleichwohl ist sie die tonangebende Kraft in diesem bös-heiteren Spiel. Sally singt mit einer Leidenschaft und Ausdrucksintensität, auch einer Wut, als würde ihr Herz schon das Drohende vernehmen und die Nachtglocken schlagen hören. Mit Julia Gámes Martin hat sie eine hervorragende Interpretin erhalten. Deren Songs gehören zum Besten, was die Aufführung zu bieten hat. Inszenatorisch indes geriet manches blass. Die Wechsel der Ebenen klappten nicht immer. Cliff als liebenden Schriftsteller (Simeon Esper) mangelt es an Profil.

Parallel läuft die Liebesgeschichte zwischen dem jüdischen Gemüsehändler Schultz (Martin-Jan Nijhof) und der Vermieterin Schneider ab. Die Beziehung, lustig angebahnt, volkstümlich gezeichnet, muss schiefgehen, weil Nazis schon Scheiben einschlagen. »Kauf nicht beim Juden«, heißt das später. Die Schneider kriegt Angst. Seien es Nazis oder Kommunisten, sie wolle auf Gedeih und Verderb ihr Gewerbe fortführen. Genau passend Sabine Brohm als Frau Schneider, etwas dicklich, spießig gekleidet, neckisch ihre ungelenke Zuneigung zu Schulz. Während ihrer Verlobungsfeier taucht der Nazi Ernst Ludwig (Rüdiger Hauffe) mit seinen Mannen auf, am Arm die Hakenkreuzbinde, ihm zur Seite Fräulein Kost (Manja Stein). Die sprengen die Feier. Groß die Szene, wo Fräulein Kost die Gemeinschaft zu einem Vaterlandslied einlädt und die das auch singt. Darin lauern die schwarzen Geister schon.

Genial die Wiedergabe des Conférenciers durch Aaron Pegram, untersetzter, kräftiger Typ, der in die verschiedensten Kostüme schlüpft und den Anbruch der »neuen Zeit« jäh symbolisiert, zuletzt als Teufel in schwarzer Uniform. »Cabaret« in der Regie von Manfred Weiß schließt, wie es nicht anders schließen kann. Alles bricht zusammen, die Tänze, die Songs in Rauch gehüllt, die Musik erstirbt in Kakophonie. Vorhang.

Nächste Vorstellung am 12. April

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