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Dritter Anlauf für die SPD-Erneuerung
Sozialdemokraten wollen jünger, hipper und weiblicher werden. Inhaltlich wird sich hingegen zunächst nicht viel ändern
In einem ist sich die junge Frau mit den dunklen Haaren sicher: Die SPD darf nicht so bleiben, wie sie ist. Sie findet ihre Partei oft zu langweilig. »Wir gehen nie ein Risiko ein«, kritisiert die Frau. Kein Wunder, wenn man bedenke, dass der Altersdurchschnitt der Mitglieder bei 59 Jahren liege. In weiten Teilen eine Altherrenpartei eben. Aber so deutlich wird die Frau nicht, die am Montagabend auf dem Podium in einem Internetcafé in Berlin-Mitte steht. Sie wirbt hier für eine Veranstaltung, die am 28. April unter dem Titel »Disrupt (deutsch: stört) SPD: Ein Tag Neuanfang« im Festsaal Kreuzberg stattfinden soll. Dann wollen 100 junge Menschen, die der SPD nahestehen, mit Design-Thinking-Coaches und einem Impact-Team Ideen »für die Zukunft« erarbeiten.
In der ersten Reihe im Publikum betrachtet SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil den Auftritt der Frau mit skeptischem Blick. Deren inhaltsleere Unternehmensberatersprache ärgert ihn zwar nicht insgesamt, aber an der Aufforderung der Initiative, die SPD radikal umzubauen, hat er doch einiges auszusetzen. »Das ist mir eine Spur zu hart«, sagt Klingbeil. Die Partei solle nicht einfach weggewischt werden. Klingbeil wäre bei der Veranstaltung am 28. April trotzdem gerne dabei gewesen, doch das lässt sein voller Terminkalender leider nicht zu.
Die SPD hat noch weitere Basismitglieder eingeladen, die auf der Bühne ihre Ideen für eine Erneuerung der Partei vorstellen dürfen. Viele von ihnen haben vor allem die PR-Maschine der SPD im Blick, die ein bisschen besser geölt werden könnte. Andere wünschen sich mehr Dialog im Internet oder eine stärkere Vertretung von Frauen sowie von Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund in der SPD.
Vor bunten Bildern auf einem Bildschirm verlangt ein junger Mann aus Mühlheim an der Ruhr, dass sich die Partei auf die Suche nach Themen machen sollte, welche »die Herzen der Menschen berühren«. Ein Beispiel könnte die Digitalisierung in der Pflege sein. Ein anderer Genosse will ein neues Netzwerk im Internet mit dem Namen »Left Life« schaffen. Dort solle der innerparteiliche Willensbildungsprozess stattfinden.
Nicht so recht in diese Reihe passt ein älterer Herr, den die Moderatorin dem Publikum mit dem Namen Günther vorstellt. Er ist der Einzige, der sich vage zu politischen Inhalten äußert. »Unsere Partei muss sich dezidierter für Frieden und nachhaltige Entwicklung einsetzen«, sagt er. Das sollte nach seinem Willen in einem neuen Grundsatzprogramm stehen.
So weit will Klingbeil nicht gehen. Aber der Generalsekretär verspricht immerhin, dass »wir eine Renaissance der Friedenspolitik in der SPD erleben werden«. Dabei hatte Klingbeil gerade erst vor wenigen Wochen im Bundestag unter anderem für die Verlängerung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan und Irak votiert. Auch den Rüstungsexporten für die Türkei, die in die Kurdengebieten Nordsyriens eingefallen ist, hat die SPD in der Koalition mit der Union zugestimmt.
Doch diese jüngsten Entscheidungen der Sozialdemokraten gegen eine friedlichere Welt werden an diesem Abend nicht einmal ansatzweise diskutiert. Über die Politik der Großen Koalition will Klingbeil grundsätzlich nicht meckern. »Wir können gut regieren und uns gleichzeitig erneuern«, meint er.
Nach den Plänen der SPD soll der Parteitag am 22. April in Wiesbaden, wo die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange bei der Wahl zur Parteichefin gegen die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles antritt, der Auftakt für den lange versprochenen Erneuerungsprozess sein.
Danach wollen die Sozialdemokraten thematisch über vier Schwerpunktthemen diskutieren. Die SPD will Stellung zur derzeitigen Wirtschaftsordnung, zur Zukunft der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung, zu einem funktionierenden, handlungsfähigen Staat sowie zur Rolle Deutschlands in einer sich stark verändernden Welt beziehen. Ende des Jahres ist hierzu ein »Debattencamp« geplant.
Die Debatte solle anschließend in acht Regionalkonferenzen weitergeführt werden und Ende des kommenden Jahres mit dem Beschluss auf einem Bundesparteitag enden. Dann will die SPD »vier, fünf klare Botschaften« haben, mit denen sie in den nächsten Wahlkampf gehen könne, sagt Klingbeil. Die SPD will sich während des Prozesses auch von Kreativen, Intellektuellen und Querdenkern beraten lassen. Diese sollen bei einer »Impuls«-Reihe im Willy-Brandt-Haus Denkanstöße geben.
Klingbeil, der früher Sprecher für Netzpolitik in der SPD-Bundestagsfraktion war, stimmt den Parteimitgliedern zu, welche die Onlinebeteiligung der Basis stärken wollen. In der analogen Welt setzt er jedoch im Kern auf alte Konzepte, die er etwas erweitern möchte. Klingbeil plant Hausbesuche bei den Bürgern, um mit diesen ins Gespräch zu kommen. Auch ohne Wahlkampf solle es einen zentralen Tür-zu-Tür-Tag geben. »Dann wird die gesamte Partei auf den Beinen sein«, schwärmt Klingbeil.
Flankiert wird die Debatte über neue Kampagnen und Strukturen der SPD von einigen zarten Ansätzen für eine sozialere Programmatik. Im Leitantrag für den Parteitag am 22. April heißt es: »Wir brauchen eine gerechtere Finanzierung der staatlichen Aufgaben und eine Korrektur der sozialen Ungleichheiten.« Die steuerpolitischen Instrumente reichten nicht aus, um hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften ausreichend zur Finanzierung staatlicher Aufgaben heranzuziehen.
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel deutet in einem Interview mit dem »Tagesspiegel« zudem Verbesserungen für einige Empfänger von Hartz-IV-Leistungen an. »Die Betroffenen müssen das Erarbeitete behalten dürfen - sei es ein Haus, eine Wohnung oder sonstiges Eigentum«, sagt Schäfer-Gümbel. In der Großen Koalition gibt es bislang allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass solche Überlegungen bald in die Tat umgesetzt werden könnten. Auch im Programm der SPD für die Bundestagswahl hatten Korrekturen bei den Hartz-Reformen oder etwa die Wiederbelebung der Vermögensteuer keine nennenswerte Rolle gespielt.
Was aus der versprochenen Erneuerung der SPD wird, ist zumindest fraglich. Klingbeil kann verstehen, dass die Skepsis groß ist. Vor ihm hätten schon andere Generalsekretäre ähnliche Versprechen abgegeben, doch dann sei das Regieren dazwischengekommen. Eine Sozialdemokratin weist am Montagabend darauf hin, dass dies nun schon der dritte Erneuerungsprozess in der SPD sei, den sie erlebe. Mit ironischem Unterton sagt sie: »Ich bin gespannt, was jetzt passiert.«
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