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Schöpferische Stätte
In Rotterdam setzen Unternehmen auf ressourcensparende Technik.
Der Schriftzug »Innovation Dock« ist schon von weitem an der Hallenwand zu sehen. Er wird größer und klarer, wenn das Wassertaxi in das alte Hafenbecken einbiegt und schließlich am Ponton festmacht. »Heijplatt« ruft der Angestellte der Fähre, die zwischen den Hafenbecken Rotterdams pendelt, und schiebt noch ein »RDM« hinterher. Fast jedes Kind in Rotterdam kennt diese drei Buchstaben, die für die einst größte Werft der Niederlande stehen. In den 1930er Jahren entstanden hier Luxusliner wie die MS Rotterdam, die nur ein paar Stationen weiter im Zentrum Rotterdams hinter der Hafenverwaltung vor Anker liegt. Das alte Schiff wird heute als Gourmet- und Eventlocation genutzt und steht symbolisch für das Ende des Schiffbaus in Holland.
1983 ging RDM pleite. Ein paar Jahre war dann das weitläufige Gelände mit den schmucken Backsteinbauten und den sie flankierenden Produktionshallen sich selbst überlassen. Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends entschloss sich die Stadtverwaltung von Rotterdam, das Gelände zu kaufen und umzubauen.
»Seit 2009 weht hier der Wind der Innovation«, erklärt Jouke Goslinga, Programmmanager beim RDM-Campus, hinter dem die Stadtverwaltung steht. »In diesem Jahr war die Renovierung beendet und es begann die Umsetzung des Konzepts, mit dem wir die Werft zum Hotspot für innovative Start-ups machen.« Diese neu gegründeten Unternehmen sind in der Halle mit dem Schriftzug »Innovation Dock« untergebracht, während ein Eingang weiter das »Techniek College« angesiedelt ist, wo rund 1200 Studenten in allen denkbaren Sparten ausgebildet werden.
»Die schauen schon mal rüber, woran hier gearbeitet wird«, sagt Goslinga und winkt einen der Mitarbeiter von »Jules Dock Composites« heran. Das Unternehmen entwickelt aus modernen Materialien wie Kohlenstoff oder Fieberglas Schiffspropeller, aber auch Türme für Windkraftanlagen. Erste Prototypen zeigen, dass es funktioniert. »Unser Ziel ist es, rund 50 Prozent Gewicht einzusparen. Zudem werden die Anlagen weniger wartungsintensiv sein. Korrosion ist bei unseren Materialien ein Fremdwort«, wirbt Ebo de Vries für das innovative Konzept seines Arbeitgebers. Fieberglas ist im Flugzeugbau längst gang und gäbe und die speziell geschichteten und verstärkten Matten sollen den Windkraftanlagenbau revolutionieren.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, denn erklärtes Ziel ist es, Offshore-Türme für Anlagen von zehn Megawatt und Höhen von bis zu 100 Metern zu bauen. Der aktuelle Prototyp ist jedoch nur sechs Meter hoch und der nächste noch in Planung.
Wobei die Firma Jules Dock in verschiedenen Sparten aktiv ist. Bei den Propellern für kleine Jachten sind die Entwickler bereits recht optimistisch, weil die Schiffsschrauben aus Fieberglas Vorteile gegenüber den klassischen Modellen aus Metall haben sollen, zum Beispiel, weil sie leichter sind.
Von der Schulbank zum Start-up
Klassische Propeller werden in der riesigen Werkhalle auch gefertigt. Nur kommen sie mittlerweile aus dem 3D-Drucker vom »RAM Lab«. Dort hofft man, dass sich die neue Technologie etabliert. Neuland betreten auch die Architekten von »Studio Rap« mit ihren organischen Formen, die Außenfassaden genauso wie Bushaltestellen oder Pavillons attraktiver machen können. Die Fertigung findet gleich gegenüber statt, wo ein Roboter steht, der unterschiedliche Formen produzieren kann, je nachdem, wie man ihn programmiert. »So lässt sich individueller und ressourcenschonender bauen«, argumentiert Wesel van Beerendonk. Er ist aus Belgien nach Rotterdam übergesiedelt, hat hier studiert und nebenan in der Halle des »Techniek College« noch ein paar Kurse absolviert, bevor er sich im Innovation Dock mit drei Kollegen selbstständig machte. Eine Geschichte, über die sich RDM-Programmmanager Goslinga freut, weil sie den Ansatz des Rotterdamer Hotspots für Innovation bestätigt: Ziel ist es, die Distanz zwischen Wissenschaft und Praxis zu reduzieren und neue Produkte für die Zukunft der Rotterdamer Wirtschaft zu entwickeln.
Im Innovation Dock haben sich mittlerweile rund fünfzig Unternehmen angesiedelt. Darunter auch Firmen aus Übersee, etwa Richard Hardiman mit seinem Waste Shark (Müllhai). Gleich neben Jules Dock hat er seine schnittigen Kunststoffgleiter aufgebaut, die dem Plastikmüll in Flüssen, Kanälen und Seen zu Leibe rücken sollen. Die ersten Modelle sind in Südafrika im Einsatz, wo Hardiman aufgewachsen ist. Dort waren die Bedingungen für die Weiterentwicklung seines Waste Sharks nicht so günstig wie in Rotterdam, weshalb er umsiedelte. Hier erhielt er Tipps zur Materialauswahl von Jules Dock, er steht mit Ingenieuren eines anderen Unternehmens in Kontakt und feilt an der dritten Generation der Müllschlucker.
Die können fernbedient oder auch autonom eingesetzt werden. Schon die zweite Generation ist deutlich schnittiger als der Prototyp, der ebenfalls ausgestellt ist. »In Europa ist es allerdings schwieriger als in Südafrika, Risikokapital zu bekommen. Hier wird konservativer investiert«, schildert der Unternehmer seine Erfahrung. Für ihn gibt das bessere Entwicklungsklima im Bereich Umwelt und Ökonomie jedoch den Ausschlag und ein Produkt aus Holland stehe für Qualität, erklärt der stämmige Mann mit einem breiten Grinsen.
Innovativ, nachhaltig und fair
Die Entwicklung alternativer, nachhaltiger Konzepte steht in Rotterdam hoch im Kurs. In Europas größtem Hafen sollen bis zum Jahr 2050 Container und andere Transportgüter komplett emissionsneutral umgeschlagen werden. Dabei setzt der Hafen an den Kais, aber auch beim Transport mehr und mehr auf batteriegetriebene, emissionslose Alternativen. So sollen im Spätsommer die ersten Elektro-Schuten zum Einsatz kommen und Container zwischen den Häfen von Tilburg, Amsterdam und Rotterdam transportieren.
Das sind Initiativen, die bei der Bevölkerung gut ankommen. Doch kritischen Bewohnern ist die Tatsache, dass Rotterdam nach wie vor Europas wichtigster Kohlehafen ist, ein Dorn im Auge. »Ich bin sprachlos, dass die Verantwortlichen das Terminal nun doch weitere 25 Jahren laufen lassen, nachdem sie im November letzten Jahres die Absicht geäußert haben, den Kohleumschlag im Hafen zu reduzieren«, sagt der ökologisch engagierte Firmengründer Mark Slegers.
Hintergrund ist, dass das Umschlagsunternehmen Emo eine Option im Vertrag mit dem Hafen Rotterdam genutzt hat und das Kohleterminal nun zweieinhalb weitere Jahrzehnte nutzen kann. Dagegen sind am 9. März zwar mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen, aber ob dieser Protest Auswirkungen haben wird, ist unklar. Für den Pressesprecher des Hafens, Tie Schellekens, ist die Abwanderung von Emo keine Option. »Warum sollte ein anderer Hafen den Umschlag übernehmen und die Profite machen«, fragt er.
Mehr und mehr Rotterdamer fragen wiederum, warum sie mit der Kontaminierung durch den Umschlag von 28 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr leben sollen, die zu etwa 85 Prozent nach Deutschland weitergeliefert wird. 42 Prozent des Hafenumschlags entfallen auf fossile Brennstoffe, denn auch Öl wird en gros nach Holland geliefert und im Hafen weiterverarbeitet. Dieser riesige ökologische Fußabdruck soll reduziert werden, um dem Klimaabkommen von Paris gerecht zu werden. Die Frage ist nur wie. Und daran scheiden sich die Geister.
Zirkular statt linear
Deutlich radikaler als das graduelle Hafenkonzept der Stadt mit dem Innovation Dock sind die Anhänger der zirkularen Wirtschaft, die mit »Blue City« ein Zentrum im Herzen Rotterdams aufbauen wollen. Das liegt nur ein paar Kilometer entfernt von der Innovationsfabrik RDM flussaufwärts an der Nieuwe Maas und befindet sich in einem alten Vergnügungsbad am Maasboulevard. »Tropicana« steht auf einem runden Werbeschild an der Kuppel der großen Halle des Schwimmbads. Der Name »Blue City« ist neben dem Eingang zu lesen, der sich in der Mitte des Gebäudekomplexes befindet. Der 50 Meter lange Bau erstreckt sich entlang des Flussufers. Gegenüber, auf der anderen Flussseite, steht ein Unilever-Werk.
Mit der Nachbarschaft haben die 18 Start-ups, die unter dem Dach der Blue City derzeit agieren, wenig zu tun, denn sie verfolgen einen komplett anderen ökonomischen Ansatz. »Wir brechen aus der linearen Ökonomie der Verschwendung aus und stellen das Prinzip der Wiederverwertbarkeit an die oberste Stelle«, erklärt Jan Jongert, der Gründer der Superuse Studios. Dahinter verbirgt sich ein Team von Architekten und urbanen Designern, die rohstoffschonend planen. Bei den bisherigen Umbauten im ehemaligen Tropicana-Bad, das formell einer Stiftung gehört, die es den Blue-City-Aktivisten zur Verfügung gestellt hat, sind rund 90 Prozent der verwendeten Baustoffe aus zweiter Hand. Die rund 300 Fenster, Floris Schiferli von Superuse Studios für den Bau des zweitstöckigen Bürotracks im ehemaligen Umkleidebereich verwendet hat, waren schon mal im Einsatz. »Das gilt auch für die Stromkabel, die selbstgebauten Lampen und auch den Stoff für die Polster«, so der Architekt mit dem sorgsam rasierten Charakterkopf.
Materielle Zweitverwertung
Schiferli und seine Kolleginnen und Kollegen arbeiten in erster Linie mit Materialien, die schon einmal benutzt wurden. So finden sich in einem Hafen wie Rotterdam viele Baumaterialien, die weiterverwertet werden können - so zum Beispiel Stahlträger oder altes Tropenholz. Das Holz kann aus obsoleten Duckdalben, den aus drei Pfählen bestehenden Anlegepunkten für Schiffe auf dem Strom, gewonnen werden oder aus alten Böden von Schuppen und Hallen, die abgerissen werden. Aus derartigen Hölzern ist auch die Küche am Ende des Bürotracks gebaut, in dem sich die Denker und Lenker der Blue City zum Kaffee oder zum Mittag treffen. Dort ist so manche Idee zum Ausbau des rund 12 000 Quadratmeter großen Schwimmbadareals und des darunter befindlichen Kellergeschosses entstanden, wo sich die Filter- und Wellenanlage sowie die Heizung für das gigantische Gebäude aus Stahl, Plexiglas und Stein befand. Das Haus soll in Etappen zu einem multifunktionalen Gebäude umgebaut werden, in dem Menschen wohnen, arbeiten und sich versammeln können. Neben einer Gastronomie und einem Kulturzentrum können Gewächshäuser stehen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Unternehmen, die Recyclingrohstoffe verarbeiten. Dieser vielschichtige Ansatz reizt Schiferli und seine Kollegen. Deshalb sind sie Teil der Blue City und mit der Entwicklung des Projekts und dessen Gestaltung betraut.
Derzeit konzentrieren sich die Baumaßnahmen auf den Keller, wo bis zum Mai 2017 Pilze und essbare Bakterien gezüchtet wurden. »Rotterzwam« heißt das Unternehmen, das auf Kaffeesatz Austernpilze zieht. Gegründet wurde es von Mark Slegers vor rund fünf Jahren. Es belieferte den Nachbarn Tim van Koolwijk mit Kohlendioxid und Wärme, die bei der Pilzzucht anfallen. Koolwijk ist der Kopf hinter »Spireaux«. Er züchtet Spirulina-Bakterien in einem Photo-Bioreaktor und verarbeitet sie zu einer Nährpaste. »Es ist eine Ironie des Schicksals, dass das Feuer ausgerechnet dort ausgebrochen ist, wo unserer zirkularer Ansatz bereits am Besten gegriffen hat«, sagt Floris Schiferli und schüttelt den Kopf.
Persönliche Reißleine
Der Brand brach im Mai letzten Jahres bei Spireaux aus und zerstörte die Austernpilzfarm, sorgte aber auch dafür, dass die in der darüberliegenden Schwimmhalle befindlichen Gärten mit giftigem Rauch kontaminiert wurden. Danach wurde das Untergeschoss renoviert. »DryLab« und die Macher von »Fruitleather« sind die ersten neuen Mieter. Erstere arbeiten mit Hölzern aus zweiter Hand, letztere gewinnen aus der Haut von überreifen Mangos einen festen, lederähnlichen Stoff, der als Einband für Notizblöcke im Einsatz ist, und aus dem alsbald auch Taschen gefertigt werden sollen. Die Idee, aus dem Müll anderer, in diesem Fall von den Fruchtständen am Großmarkt, etwas neues zu entwickeln, eint die Aktivsten der Blue City und den Mitinitiator Mark Slegers.
Er gab 2010 seinen lukrativen Job in einem großen Energieunternehmen auf, entschied sich 2012 mit der Zucht von Austernpilzen zu beginnen. Heute bietet er neben Pilzen auch einen Bioplastikkunststoff mit etwa 50 Prozent Kaffeesatzanteil an, und gibt Kurse zur Zucht von Austernpilzen. Zudem arbeitet er bei der Entwicklung der Blue City mit, um Alternativen zu einer Welt zu entwickeln, in der die Menschheit Jahr für Jahr mehr Ressourcen verbraucht als nachwachsen. »Das hat mich animiert, die persönliche Reißleine zu ziehen«, erläutert er.
Dabei legt Slegers Wert darauf, unabhängig von der Stadtverwaltung zu agieren. Die hat der Blue City schon Hilfe angeboten, führt den Ort auch als »Eventoption« und die Pressestelle der Stadt weist Besucher auf das innovative Projekt hin. Diesen Pragmatismus und die Kompromissbereitschaft der Verantwortlichen schätzt Slegers, aber deren Politik teilt er längst nicht immer. »Innovation in Rotterdam wird mir zu konventionell gedacht«, kritisiert er und verabschiedet sich zu einem Treffen im alten Schwimmbad.
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