- Kommentare
- Metoo
Heute-lieber-nicht-Liberale
Leo Fischer über Leute, die durchaus für Feminismus sind - aber nicht in ihrer Welt und zu ihrer Zeit
Als nun wirklich allerletzten Beitrag zur Metoo-Bewegung hat sich Jens Jessen in der »Zeit« vergangene Woche als Opfer eines »feministischen Volkssturms« inszeniert - einer »totalitären« Ideologie, deren Ziel das »Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen« sei. Der Ärger darüber war so berechtigt wie kalkuliert; schlauerweise hat die »Zeit« den Beitrag online gleich hinter die Paywall gestellt - man soll erst bezahlen, bevor man sich empört. Aber die darin dargelegte Haltung ist eindeutig: Feminismus gut und schön; bloß ich, ich soll davon verschont werden, für mich soll bitte alles so bleiben, wie ich es kenne. Alles andere wäre ja auch Faschismus.
Es gibt eine Generation älterer Liberaler, die es sich sehr gut eingerichtet haben in diesem Liberalismus; einem Liberalismus, der interessanterweise immer dann zusammenbricht, wenn er mal praktisch werden müsste. Nehmen die Frauen denn nicht nur ihre bürgerlichen Rechte voll wahr? Bedienen sie sich denn nicht nur des grundgesetzlich verankerten Diskriminierungsverbots? Sprechen sie denn nicht nur aus, wo die scheinbar emanzipierte bürgerliche Gesellschaft hinter ihren Idealen zurückbleibt? All das müsste ein bürgerlicher Liberaler schmerzfrei verkraften können, ja es sogar befürworten; all dies passiert ganz honett im Rahmen der Gesetze und der hochgeschätzten FDGO (freiheitlich-demokratische Grundordnung).
Doch weil es sich bei diesem Liberalismus nur um eine bequeme Pose handelt und der »Zeit«-Autor ahnt, dass es bei ihm mit den bürgerlichen Rechten nicht weit her ist, wenn sich durch ihre konsequente Anwendung Machtverhältnisse ändern könnten, greift er mit vollen Händen zu den geschmacklosesten historischen Vergleichen und Andeutungen - Männer als die neuen Juden, ob ihm das nicht selbst hinterher peinlich war?
Diese Haltung ist nicht konsequent liberal, sondern konsequent paternalistisch: Sollen sie machen, Hauptsache, es bleibt alles so, wie es ist. Feminismus sollen die Frauen unter sich ausmachen, die Bekämpfung von Diskriminierung möge bitteschön von den Diskriminierten geregelt werden. Für besonders schöne Erfolge dabei gibt es Applaus, besonders feurig auftretende Ungleichheitskämpfer dürfen auch mal ans Podium - aber das war es dann auch. Die Angelegenheiten des »Zeit«-Autors sollen die seinen bleiben, da hat sich bitte keiner einzumischen; man mischt sich ja auch in Frauensachen nicht ein.
Bei den älteren Semestern kommt noch so eine Art Feierabendgefühl hinzu. Man hat doch nur noch zehn Jahre Dienst! Die Pensionierung ist schon am Horizont zu sehen. Jetzt noch etwas ändern?! Ohne mich. Liebe Frauen, wartet bitte schön ab, bis ich in Rente bin, danach könnt ihr gern alles Mögliche veranstalten; vielleicht sogar meinen noch sitzwarmen Bürostuhl übernehmen. Alles sehr gerne, heute jedoch nicht. Die gesellschaftliche Aufgabe wird vertagt aus rein biografischem Kalkül.
Hinzu kommt, dass das Eingeständnis, die eigene Position könne womöglich auf Unrecht beruhen, das Selbstwertgefühl bedroht. Meine Position verdanke ich nur harter Arbeit und meinen edlen liberalen Werten! Natürlich, es gibt Männerbünde, ausgesprochene und unausgesprochene; Frauen werden übergangen - aber woanders. Hier bei uns ist alles in Ordnung, und meine Weste ist rein. Ihr könnt gerne anfangen, die Aussagen von Männern neu zu bewerten und kritisch hinzusehen, wo sie sich Posten zuschanzen - aber bitte nicht hier bei mir. Es war eine andere Zeit damals, es war so üblich, da hat niemand was gesagt; und hätte jemand geahnt, dass in ferner Zukunft plötzlich feministische Furien vom Himmel fallen und unsere Lebensläufe auseinanderklamüsern, dann hätten wir bestimmt manches anders gemacht. Aber danach sah es damals eben nicht aus.
Feminismus ist ein schönes Ideal, soll aber bitte erst einmal Ideal bleiben, denn immerhin bin ich noch da. Meine Arbeit, mein Leben, meine Position - fasst mir da bloß nichts an. Fangt mit der Gleichberechtigung an, wenn ich tot bin. Diese Art utopischer Liberalismus ist das Gegenteil einer politischen Haltung - er kaschiert lediglich den Unwillen, den eigenen Standpunkt zu überprüfen und auch mal anderen zuzuhören als sich selbst. Dieser Art Liberalismus, die derzeit im Medienbetrieb wohl vorherrschende politische Einstellung, gehört ganz dringend weg.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.