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Ex-Arbeitsminister Clement: Abschaffung von Hartz IV wäre »verrückt«
Wirtschaftslobbyist meint, eine Reform sei nicht notwendig und will Sanktionen konsequenter anwenden / CSU und FDP wollen Leistungen für Asylsuchende einschränken
Berlin. In der Diskussion um die Abschaffung von Hartz IV versteht der frühere Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement seine frühere Partei nicht mehr. Seit den Hartz-Reformen kämpften die Sozialdemokraten mit sich selbst und gegen diese Reformen, sagte Clement, der als Minister 2002 die Reformen auf den Weg brachte, der »Berliner Morgenpost« (Sonntag). Die aktuell diskutierte Idee eines solidarischen Grundeinkommens und der Unterbringung von Langzeitarbeitslosen in öffentlichen Jobs habe sich aber bereits in der Vergangenheit als Irrtum erwiesen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant entsprechend dem Koalitionsvertrag einen sozialen Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzuschüssen in Milliardenhöhe.
»Während damals permanent viel Geld in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen investiert wurde, stieg die Arbeitslosigkeit seit der Jahrtausendwende stetig an«, sagte Clement. Er ist heute Kuratoriumsvorsitzender der wirtschaftsfreundlichen Lobbyorganisatione »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«. Erst die Hartz-Reformen hätten diesen Trend gestoppt und vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit gesenkt. »Insgesamt kann ich die heutige SPD nicht mehr verstehen. Die Sozialdemokratie war einmal die Partei der Bildung. Heute ist sie die Partei von Reparaturen an überwiegend erfolgreichen Arbeitsgesetzen. Wer kann das begreifen?«
Der Irrtum der SPD - und damit auch des Berliner Regierenden Bürgermeisters Michael Müller – sei anzunehmen, dass es einer Reform von Hartz IV bedarf. Müller hatte vorgeschlagen, Hartz IV durch ein solidarisches Grundeinkommen zu ersetzen. Gebraucht würden stattdessen grundlegende Bildungsreformen und eine Politik, die nachhaltig verhindere, dass immer wieder Menschen in Hartz IV hineinwachsen, sagte Clement.
Auch die vorgeschlagene Abschaffung von Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger nannte der Sozialdemokrat einen Irrweg. Es sei verrückt, dass der französische Präsident Macron in Frankreich gerade einführe, was Müller trotz aller Erfolge hierzulande wieder abschaffen wolle, so Clement. Die Sanktionen sollten stattdessen eher noch konsequenter angewandt werden. Das Prinzip des Förderns und Forderns sei Grundlage unserer Arbeitsmarktpolitik und beinhalte die Erwartung, dass arbeitsuchende Menschen alles tun, um aus der öffentlichen Förderung so schnell wie möglich wieder herauszukommen. »So geht das Zusammenspiel von Selbstverantwortung und sozialem Denken in einer freien Gesellschaft«, sagte Clement.
Forderungen nach weiteren Verschärfungen von Hartz IV kommen derweil von CSU und FDP. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert Einschnitte bei den Hartz-IV-Leistungen für abgelehnte Asylsuchende. Sie sollten nicht mehr den vollen Satz in bar bekommen wie bisher, sagte Dobrindt der »Welt am Sonntag«. Es müsse unterschieden werden zwischen denjenigen, die berechtigt in Deutschland Schutz fänden und denjenigen ohne Bleiberecht, sagte er. Ähnlich hatte sich zuvor auch FDP-Chef Lindner geäußert.
Deutschland zahle heute mit die höchsten Sozialleistungen für Asylsuchende in Europa, fügte Dobrindt hinzu. Das setze falsche Anreize. »Außerdem müssen deutlich länger als heute nur gekürzte Leistungen bezahlt werden.« Bei abgelehnten Asylsuchenden solle zudem stärker auf Sachleistungen umgestellt werden.
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Dobrindt wandte sich zudem gegen Pläne aus der SPD, bei Hartz-IV-Leistungen Eigentumswohnungen künftig nicht mehr im heutigen Umfang anzurechnen. »Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Steuergelder im Sozialhilfebereich einzusetzen, solange diejenigen, die Unterstützung beanspruchen müssen, noch größere Vermögenswerte haben«, sagte Dobrindt. »Eine Vollkaskomentalität ist nicht die Grundlage unserer Gemeinschaft.« mit Agenturen/nd
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