Raúl Castro hat einen sanften Übergang erreicht

Der kubanische Sozialwissenschaftler Juan Valdés Paz über den Generationswechsel an der Spitze und die wirtschaftlichen Herausforderungen

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 4 Min.
Raúl Castro tritt nach zehn Jahren Präsidentschaft ab. Was hat er bewegt?

Als Raúl an die Macht kam, ersetzte er mit Fidel Castro den unumstrittenen historischen Führer der Revolution, jemanden, der das Land ein halbes Jahrhundert lang geführt hat. Durch die schwere Erkrankung Fidels kam er 2008 zufällig an die Macht. Trotzdem musste die Machtübergabe so normal wie möglich geschehen, ohne die Regierungsfähigkeit einzuschränken. Einen ruhigen Übergang hinbekommen zu haben, ist Raúls Leistung. Nun leitet er eine neuerlichen Übergang hin zu einer neuen Führung, auf eine Art und Weise, dass sie von der Bevölkerung als normal angesehen wird, ohne Brüche. Das ist die erste Leistung.

Juan Valdés Paz
Juan Valdés Paz ist kubanischer Wissenschaftler, Gewinner des Nationalpreises der Sozialwissenschaften 2014. Im Februar erschien der erste Band seiner Analyse »La evolución del poder en la Revolución Cubana« (Die Evolution der Macht in der Kubanischen Revolution), der die Jahre 1959 bis 1991 umfasst, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mit ihm sprach für »nd« Andreas Knobloch.
Foto: Andreas Knobloch

Und sonst?
Die zweite Leistung: Während der Interimspräsidentschaft, noch im Jahr 2007, befragte Raúl die Bevölkerung: Kritik, Vorschläge etc., das diente ihm als Basis für das, was er von da an befördern wird: vor allem ökonomische Reformen sowie ein Paket von Deregulierungen, wie die Migrationsreform zur Reisefreiheit. Vor allem von 2008 bis 2010 ist der Diskurs Raúls ein reformistischer: Es müsse Reformen geben; er übt Kritik an den Problemen und nennt die Dinge beim Namen. 2010 werden die ersten Ideen formuliert, es findet eine breite öffentliche Debatte über die Vorschläge statt. Im April 2011 dann tagt der VI. Parteikongress, der die Vorschläge zur Abstimmung stellt und Leitlinien aufstellt, die anschließend von der Nationalversammlung verabschiedet werden und sich damit in ein Programm des Staates verwandeln. Die Leitlinien bilden von da an den Rahmen für die Wirtschaftspolitik.

Mit welchen realen Auswirkungen?
Dieser Prozess zieht zunächst Nutzen aus der Verbesserung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA, die Raúl Castro durch seine (Annäherungs-)Politik erreicht. Die US-Blockade besteht zwar weiter fort, aber unter Obama werden einige Aspekte aufgeweicht.
Zuletzt aber haben sich die globalen Rahmenbedingungen wieder verschlechtert: Trump löst Obama ab und die USA kehren zu einer Rhetorik zurück, die an die 1960er erinnert. Das vorteilhafte Panorama verschwindet und könnte sich noch weiter verschlechtern. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Venezuelas und der Siegeszug der Rechten in Ländern wie Brasilien oder Argentinien.

Wie wirkt sich das auf Kubas Reformkurs aus?
Das führt dazu, dass die internen Programme unter Druck geraten und die Reformen verlangsamen. Raúls Nachfolger erben also eine schwierige Situation. Raúl aber hat eine »sanfte« Transition erreicht; und ein Ambiente von Reformprogrammen hinterlassen, die die nachfolgende Regierung nicht erst anstoßen muss, sondern auf die sie aufbauen kann.

Ihre Hypothese ist: Die Konsolidierung und Reproduktion der Revolution über die Zeit war möglich wegen des außergewöhnlichen Charakters der politischen Macht und der Hegemonie der sozialen Macht. Nun wird vor allem die soziale Macht herausgefordert durch Forderungen nach wirtschaftlichem Aufschwung und auf dem kulturellen Feld durch die globale Unterhaltungsindustrie, die auch in Kuba an Boden gewinnt, oder?
Ja. Aber die Ressourcen der Macht der Revolution sind weiterhin in Takt. Es existiert immer noch kein interner Herausforderer für diese Macht. Die Hauptherausforderung, der sich diese Macht gegenübersieht, ist es zu erreichen, den mehrheitlichen Konsens in der Bevölkerung beizubehalten. Im Verlauf des vergangenen halben Jahrhunderts hat dieser Konsens augenscheinlich abgenommen, einige Studien gaben ihm zuletzt aber noch 70 Prozent. Es ist weiterhin ein enorm mehrheitlicher Konsens. Ich glaube, dieser mehrheitliche Konsens wird fortbestehen, hat aber zwei fundamentale Bedrohungen: die ökonomische Krise seit 25 Jahren. Auch wenn wir sie überlebt haben, wurde der Lebensstandard nicht wieder hergestellt. Die Wirtschaft muss wachsen, um die Situation der Bevölkerung zu verbessern: Basiskonsum, Gesundheit, Bildung sind gesichert, aber es gibt andere Forderungen und Erwartungen der Bevölkerung, die nicht erfüllt werden können, ohne dass sich die Wirtschaft erholt. Deshalb ist das Thema Wirtschaft politisch entscheidend.

Auch weil der Wohlstand nicht mehr von Generation zu Generation wächst, oder?
Ja. Man kann sagen, die Revolution befindet sich in der siebten Generation. Die ersten drei lebten jeweils besser als ihre Eltern, die vierte gleich wie ihre Eltern und die fünfte und sechste schlechter als ihre Eltern, und die siebte läuft Gefahr, nicht viel besser als ihre Eltern zu leben. Diese Generationen sehen ihre Erwartungen frustriert. Sie sind mit den sozialen Errungenschaften wie Bildung und Gesundheit als Selbstverständlichkeit aufgewachsen. Sie wollen mehr Konsum, Internet, Reisen – legitime Forderungen. Das Problem liegt bei der Revolution, diese Forderungen zu erfüllen.

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