Die Post als Nichtwahlhelfer

Hessen: Welche Konsequenzen haben Probleme bei der Zustellung für die Wahlbeteiligung?

  • Hans-Gerd Öfinger. Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.

Höhlt die Privatisierung der Post demokratische Rechte aus? Eine wohl alltägliche Meldung aus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden legt den Schluss nahe, dass diese Frage gar nicht weit hergeholt ist.

»Sie werden im Melderegister unter der oben genannten Anschrift geführt. Ein Schreiben unserer Behörde konnte jedoch nicht zugestellt werden und ging mit dem Vermerk ›Empfänger unbekannt‹ wieder an den Absender zurück.« Mit diesen Worten begann ein Schreiben der Wiesbadener Stadtverwaltung, das eine Seniorin dieser Tage aus ihrem Briefkasten fischte. »Wir gehen davon aus, dass Sie nicht mehr unter der angegebenen Anschrift wohnhaft sind und beabsichtigen deshalb, unser Melderegister gemäß § 6 Absatz 1 des Bundesmeldegesetzes von Amts wegen fortzuschreiben.«

Die betagte Dame wurde in dem Brief aufgefordert, sich binnen 14 Tagen mit dem Amt in Verbindung zu setzen und einen eventuellen Wohnsitzwechsel zu melden. Auslöser des Schreibens war offenbar die Tatsache, dass die an ihre Adresse im vergangenen Sommer versandte amtliche Wahlbenachrichtigung für die Bundestagswahl am 24. September nicht in ihrem Briefkasten landete, sondern als vermeintlich »unzustellbare« Sendung wieder zurück ans kommunale Wahlamt ging. Dass die Seniorin im September dennoch wählen ging, hat sie letztlich ihrem Sohn zu verdanken. Er ist über örtliche Behördenstrukturen informiert und begleitete seine Mutter nach eigenen Angaben zum Briefwahllokal.

Als der Sohn nun dieser Tage im Namen seiner Mutter der schriftlichen Aufforderung zur Rückmeldung folgte und die Verwaltung aufsuchte, wurde ihm rasch klar, dass dies kein besonders seltener Fall war. Rund 20 000 Wahlbenachrichtigungen seien im vergangenen Sommer allein in Wiesbaden als »unzustellbar« an den Absender zurückgegangen, habe ihm der zuständige Sachbearbeiter mitgeteilt, der derzeit zusammen mit anderen bei der Aufarbeitung der Fälle alle Hände voll zu tun hat.

Bei knapp 190 000 Wahlberechtigten in der Landeshauptstadt im September 2017 entspricht die Zahl von rund 20 000 Rücksendungen immerhin einem Anteil von gut elf Prozent - wobei darunter natürlich auch zahlreiche Fälle sind, wo Bürger einen Umzug nicht den Behörden gemeldet haben. Dennoch geht es offenbar um einen Wähleranteil, der bei knappen Verhältnissen durchaus wahlentscheidend sein könnte. Denn längst nicht alle Bürger, die keine Wahlbenachrichtigung in die Hände bekommen, bahnen sich auch ohne amtliche Aufforderung ihren Weg zum Stimmlokal beziehungsweise werden dabei von Angehörigen oder Bekannten begleitet. So könnten die offensichtlichen Probleme bei der Zustellung letztlich die Wahlbeteiligung nach unten drücken und schleichend US-amerikanische Zustände fördern. Dort müssen sich die Bürger selbst um die Eintragung ins Wählerregister kümmern und haben - anders als in Deutschland - keinen Rechtsanspruch auf Zustellung einer Wahlbenachrichtigung am Hauptwohnsitz.

Wiesbadens Verwaltung hat mit mangelhafter Zustellung von Behördenschreiben bereits Erfahrungen gesammelt. Angelockt durch Schnäppchenpreise hatte sie kurz nach der Jahrtausendwende das örtliche Privatpostunternehmen Postino vertraglich mit der massenhaften Zustellung von amtlicher Post beauftragt. Postino war damals eine Neugründung des örtlichen Pressemonopols Verlagsgruppe Rhein-Main (vrm) und sollte der Deutschen Post im Großkundengeschäft das Wasser abgraben. Bald rächte sich die vermeintliche Ersparnis jedoch, weil Postino der Stadt zahlreiche Pannen und Patzer bescherte. Wegen unpünktlicher Zustellung wurden Fristen verpasst, Verwaltungsvorgänge empfindlich gestört.

Schließlich kündigte die Stadt den Vertrag mit Postino und kehrte reumütig zur Deutschen Post zurück. Dass auch diese nach Aussagen zahlreicher Kunden inzwischen immer unzuverlässiger geworden ist, dürfte vor allem eine Folge des von renditehungrigen Großaktionären ausgehenden Kostendrucks und der zunehmend prekären Arbeitsbedingungen in der Zustellung sein.

»So etwas ist nicht schön, es handelt sich aber nur um vereinzelte Fälle«, so die Antwort auf eine »nd«-Anfrage an das Büro des Landeswahlleiters in Hessen, wie die örtlichen Wahlämter mit der Erfahrung der Wiesbadener Seniorin umgingen. In Hessen wird in einem halben Jahr ein neuer Landtag gewählt. Im Vorfeld von Wahlen würden die Bürger über mehrere Kanäle darauf hingewiesen, dass man auch ohne Wahlbenachrichtigung wählen gehen könne, erklärte die Landeswahlbehörde.

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