• Politik
  • Psychiatriegesetz in Bayern

Stigmatisierung psychisch Kranker

Das von Bayerns Landesregierung geplante neue Psychiatriegesetz stößt auf Widerstand

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.

»Psychisch kranke Menschen brauchen Hilfe, jemanden, dem sie vertrauen können, nicht die Angst im Nacken, weil jemand meint, man wäre auffällig, weggesperrt zu werden.« Dieser Satz steht in einer Petition an den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), die innerhalb von zehn Stunden von 15 000 Menschen unterschrieben wurde. Die Eingabe richtete sich gegen das im Freistaat geplante neue »Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes« (PsychKHG). Während die Staatsregierung darin eine Verbesserung der Situation psychisch Kranker sieht, übt eine breite Front aus Betroffenen, Experten und Politikern harsche Kritik. Psychisch Kranke würden »künftig behandelt wie verurteilte geisteskranke Verbrecher«, monierte etwa Kathrin Sonnenholzner. Die SPD-Politikerin ist Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Landtag.

Mit dem neuen Gesetz, über das am Mittwoch in erster Lesung im Parlament beraten wurde, soll die Versorgung für psychisch Kranke »nachhaltig verbessert« werden, wie es in dem Text des Gesetzesentwurfs heißt. Auf den ersten Seiten des Textes aus dem Hause von Gesundheitsministerin Melanie Huml und Sozialministerin Kerstin Schreyer (beide CSU) steht: »Mit dem Gesetz soll ein Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen geleistet werden.« Man wolle die Zahl der Zwangseinweisungen in die Psychiatrie reduzieren, denn darin ist Bayern Spitzenreiter unter allen Bundesländern. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband zählte man 2015 im Freistaat 61 160 Unterbringungsverfahren und damit 2,5 Mal so viele wie in Baden-Württemberg und 13 500 mehr als im bevölkerungsreicheren Nordrhein-Westfalen. Bei 2,3 Millionen Bayern wurde im Jahr 2014 eine psychische Störung diagnostiziert und jährlich nehmen sich hier rund 1800 Menschen das Leben.

Das geplante Gesetz besteht aus zwei Teilen: Im ersten stehen die geplanten Hilfsmaßnahmen, im zweiten geht es um die Unterbringung für Menschen in schweren Krisen. Am ersten Teil wird zwar Kritik geübt, aber es gibt auch positive Beurteilungen: »Die große Leistung dieses Gesetzes ist die in Deutschland einmalige Einführung eines flächendeckenden Krisennetzwerks mit dem Krisendienst«, so die bayerischen Bezirke. Psychiatrische Hilfsdienste sollen 24 Stunden als Ansprechpartner für Betroffene und ihre Angehörigen zur Verfügung stehen. Positiv gesehen wird auch, dass der Landtag künftig über den Stand der Psychiatrie in Bayern informiert wird.

In der Kritik steht vor allem der zweite Teil mit Einweisung und Zwangsmaßnahmen. In Bayern ist der Fall Gustl Mollath in Erinnerung geblieben, der jahrelang gegen seine Zwangseinweisung gekämpft hatte. Konkret geht es etwa um eine sogenannte Unterbringungsdatei, in der sensible Daten gespeichert und der Polizei oder dem Kreisverwaltungsreferat zugänglich gemacht werden sollen. Was das bedeuten kann, hat Professor Thomas Kallert, Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, geschildert. Sein Szenario: Eine junge Frau bekommt nach einer Geburt eine sogenannte Wochenbettpsychose und attackiert ihren Ehemann. Der Notarzt ordnet die Unterbringung in die nächstgelegene psychiatrische Klinik an. Bei Besuchen sind jetzt körperliche Durchsuchungen möglich, auch die Videoüberwachung. Fünf Wochen später hat sich die Situation entspannt, die junge Frau wird entlassen. Doch die Klinik ist nun verpflichtet, die Entlassung der Polizei zu melden. Außerdem werden persönliche Daten wie Grund der Einweisung und die medizinische Diagnose an eine landesweit operierende Zentralstelle weitergeben und fünf Jahre lang gespeichert. Auf diese sensiblen Daten können dann diverse Behörden zugreifen.

»Listen von psychisch Kranken zu erstellen und über Jahre den Behörden zur Verfügung zu stellen, stigmatisiert bereits geheilte und entlassene Patienten zusätzlich und stellt eine massive Einschränkung im Bezug auf den weiteren Alltag dar«, heißt es in der Petition an die bayerische Staatsregierung. Für Professor Kallert ist klar: »Die sich offenbarende Haltung gegenüber schwer psychisch Kranken ist fachlich nicht hinnehmbar und steht Fundamenten ärztlich-psychiatrischen Denkens und Handelns diametral entgegen.« Einer Kriminalisierung, Entrechtung und lang anhaltenden strukturellen Stigmatisierung dieser Patienten müsse ganz entschieden entgegengetreten werden, forderte er.

Mittlerweile ist der Sturm der Entrüstung auch bei der Staatsregierung angekommen, man sei noch »offen für Veränderungen«, heißt es dort.

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