Die Welt rüstet auf, Deutschland rüstet mit

Abrüstungsbericht der Bundesregierung zeichnet düsteres Bild - Wehrbeauftragter zieht Jahresbilanz

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir müssen noch viel mehr werden«, rief Sahra Wagenknecht, die Fraktionschefin der LINKEN im Bundestag, den Demonstranten zu, die am Mittwochabend am Brandenburger Tor gegen die Angriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Syrien protestierten. Dabei gehören die Demonstranten zu einer, wenn auch schweigenden, Mehrheit. Jüngste Umfragen des ZDF-Politbarometers belegen, dass fast 60 Prozent der Bundesbürger ein militärisches Eingreifen westlicher Staaten in den Syrienkrieg ablehnen. Selbst die Kanzlerin, die ein gutes Gespür für gesellschaftliche Stimmungen hat, schloss ein militärisches Eingreifen der Bundeswehr aus. Auch wenn deutsche Aufklärungs-Tornados in der Region stationiert sind und dort fleißig Daten sammeln.

Syrien ist derzeit nur ein Krisenherd von vielen. Das zeigte sich auch am Donnerstag im Bundestag, wo die Regierung ihren »Abrüstungsbericht 2017« vorstellte. Außenminister Heiko Maas (SPD) betonte, dass die »Zeichen in vielen Teilen der Welt auf Aufrüstung« stünden und gleichzeitig die »Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur« erodiere. »Kaum eines der Abrüstungsregime funktioniert noch im vollen Umfang.« Die von den USA ins Spiel gebrachte Aufkündigung des Atom-Abkommens mit dem Iran bezeichnete Maas als »alles andere als hilfreich«. Die Bundesregierung setzte sich »sehr intensiv« dafür ein, das Abkommen zu erhalten. Maas kritisierte zudem, dass Russland den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) »einseitig suspendiert« habe.

Der LINKEN-Abgeordnete Gregor Gysi räumte ein, dass Moskau den KSE-Vertrag tatsächlich suspendiert habe, allerdings hätten sämtliche NATO-Staaten dessen Ratifizierung zuvor abgelehnt. »Der Westen hat so sehr gegen Russland gesiegt, dass er meinte, das Völkerrecht nicht mehr zu benötigen«, so Gysi. Verschiedene Bundesregierungen hätten geglaubt, russische Kooperationsangebote ignorieren zu können und den »Konfrontationskurs der USA ohne Sinn und Verstand mittragen« zu müssen. Nun sei dort Präsident Donald Trump an der Macht, der wolle, dass Deutschland seine Rüstungsausgaben massiv erhöht. »Sofort riefen Frau Merkel und Frau von der Leyen: Wir machen das. Man darf zu Herrn Trump aber auch Nein sagen«, betonte Gysi.

Die Grüne Katja Keul nahm sich den neuen Bundesaußenminister zur Brust, der davor gewarnt hätte, »einseitig Deals mit der russischen Seite« abzuschließen. »Mit wem sonst wollen Sie Abrüstungsverträge denn schließen als mit Russland? Mit sich selbst?«, fragte Keul in die Runde.

Der Abrüstungsbericht selbst zeichnet ein düsteres Bild der Lage und geht nicht weiter ein auf Deutschlands unrühmliche Rolle als viertgrößter Rüstungsexporteur der Welt. Schuld sind immer die anderen. »In Europa bröckelt der Konsens über die bestehenden abrüstungs- und rüstungskontroll-politischen Verträge«, so die Autoren. Auch »Errungenschaften auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung« seien in Gefahr: So der für die europäische Sicherheit so wichtige »Intermediate Range Nuclear Forces Treaty (INF)«, der Russland und die USA verpflichtet, auf landgestützte Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen zu verzichten. Westliche Staaten werfen Russland vor, die vertraglichen Bestimmungen zu unterlaufen. Ein Antrag der LINKEN für den Erhalt des INF-Vertrages fand im Plenum keine Mehrheit. Ebenso erging es dem Antrag der Grünen, der die Bundesregierung dazu aufforderte, dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beizutreten. Aus Rücksicht auf ihre atomar bewaffneten Verbündeten hatte Deutschland sich 2017 dem UN-Vertrag verweigert.

Am Nachmittag stellte dann der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), seinen Jahresbericht vor. Für die Bundeswehr war 2017 ein Katastrophenjahr. Zahlreiche Skandale um rechtsradikale Soldaten, Übergriffe bei der Ausbildung und Mobbing erschütterten die Truppe. Bartels wandte sich gegen Vorwürfe, die Ermittlungen im Fall des rechtsradikalen Soldaten Franco A. seien überzogen gewesen. »Bei Terrorverdacht kann man nicht vorsichtig genug sein«, so Bartels. Jetzt wisse man, dass es wirklich keine Terrorzelle bei der Bundeswehr gab. Die Zahl der auf dem Dienstweg gemeldeten »Meldepflichtigen Ereignisse« sei erheblich angestiegen, so der Bericht. Dabei ging es um rechtsextremistische Verdachtfälle ebenso wie um unangemessenes Führungsverhalten und sexuelle Belästigung.

Bartels beklagte zudem die »Mangelwirtschaft« bei der Ausrüstung. Im Bericht heißt es dazu: »Laufende Rüstungsprojekte litten unter schleppender Auslieferung, eingeführtes Gerät war zu oft nicht einsatzbereit, Ersatzteile fehlten überall.« Die eklatanten Mängel betreffen alle Waffengattungen. Zwar seien die Defizite erkannt und könnten Probleme »auf allen Ebenen offen angesprochen werden«, aber »von einer wirklichen Umkehr des Trends kann noch lange nicht gesprochen werden«, konstatiert der Bericht.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) behauptete, ihr Ministerium sei »schneller und besser geworden«. Zudem hätte sich unter ihrer Ägide »das Volumen der Beschaffungsaufträge verfünffacht«. Die von Trump geforderte Aufrüstung läuft auf vollen Touren.

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