Als Frau sichtbar sein

Die israelische Transgender-Künstlerin Roey Victoria Heifetz lebt seit 2012 in Berlin

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 5 Min.
Das ist ihr Kiez: Roey Victoria Heifetz wohnt am Kottbusser Tor.
Das ist ihr Kiez: Roey Victoria Heifetz wohnt am Kottbusser Tor.

»Ich werde mich nie wieder verstecken!« Das hat sich Roey Victoria Heifetz nach dem letzten gewalttätigen Übergriff geschworen. Es passierte vor ein paar Monaten. Heifetz war spät abends nach einer Party auf dem Heimweg. Am U-Bahnhof Kottbusser Tor, von wo aus sie nur noch einen kurzen Fußweg bis zu ihrer Wohnung hat, fing ein unbekannter Mann wie aus dem Nichts an, sie zu beschimpfen.

»Er bedrängte mich. Sagte, ich sei keine richtige Frau. Dann schubste er mich«, erinnert sich Heifetz. Intuitiv fing sie zu rennen an. Der Unbekannte verfolgte sie nicht. Eine Anzeige hat Heifetz nicht erstattet. »Ich müsste Unmengen von Anzeigen schreiben, wenn ich all die Beschimpfungen, die mir fast täglich nachgerufen werden, strafrechtlich verfolgen wollte«, sagt sie.

Heifetz bezeichnet sich selber als Transgender-Frau. Seit 2012 lebt sie in Berlin. In ihrer Heimat Israel und den USA hat die 39-Jährige Kunst studiert. In Jerusalem hatte Heifetz ein eigenes Atelier. Damals malte und verkaufte sie ihre Gemälde noch als schwuler Mann. Erst in Berlin hat Heifetz sich getraut, als Frau auf die Straße zu gehen. »Jahrelang fühlte ich mich schon in meiner geschlechtlichen Identität unterdrückt«, erzählt Heifetz. In Israel habe sie sich sozial kontrolliert und nicht in der Lage gefühlt, ihre weibliche Identität offen zu leben. »Das Gefühl, in der großen Stadt fremd zu sein, hat mir in Berlin geholfen, mich als Frau zu identifizieren und als solche auch öffentlich zu zeigen.«

Wenn sie heute in ihrem Studio auf dem Areal des ehemaligen Funkhauses in Oberschöneweide malt, zieht sie sich immer besonders weiblich an. High Heels, Röcke, Kleider, Make-Up - das sei sowohl ihre Berufskleidung als auch ihr Wohlfühloutfit für den Alltag, sagt Heifetz mit einem breiten Lächeln.

In Heifetz' künstlerischen Werken steht die Untersuchung von Stereotypen und Normen der körperlichen Schönheit in der Transgender-Gesellschaft und die dabei alles umschließende Frage, was es überhaupt bedeutet, im 21. Jahrhundert eine Frau zu sein, im Mittelpunkt. »Wenn ich in den Spiegel schaue, habe ich oftmals das Gefühl, dass das Äußere mit dem Inneren nicht zusammenpasst. Dieses Gefühl versuche ich, in meiner Kunst deutlich zu machen.«

Aktuell arbeitet Heifetz an einem Interviewprojekt mit Transgender-Frauen in Berlin, Tel Aviv und Los Angeles. In den Kurzvideos, die Heifetz zu einer längeren Sequenz zusammenschneiden will, soll es um den Alltag der Menschen gehen.

»Zwischen der teilweisen Akzeptanz in der LBGTI-Community und der Ablehnung in der Mehrheitsgesellschaft gibt es viele Graubereiche, über die man unter Transgender-Frauen offen sprechen muss«, erläutert Heifetz.

Denn obwohl Transgender-Frauen in europäischen oder amerikanischen Großstädten heute wesentlich sichtbarer als noch vor einigen Jahren seien, sei ihr Alltag von Ausgrenzung und sexualisierter Gewalt geprägt. Es gebe in der freien Welt zusehends Interesse an Transsexualität, »aber keine wirkliche gesellschaftliche Akzeptanz«, meint Heifetz. Sie selber habe das Glück, aufgrund ihrer kleinen körperlichen Statur und dank Lasertherapie und Hormonbehandlung sehr feminin auszusehen, so dass sie auf der Straße häufig als biologische Frau wahrgenommen werde. Vielen Transgender-Freundinnen von ihr ginge es anders.

»Ich habe einige Bekannte, bei denen die Transition nicht so reibungslos verläuft. Ausgrenzung und Diskriminierung treffen sie noch härter als mich«, erzählt Heifetz. Auch in einer weltoffenen Stadt wie Berlin sei es für die meisten Transgender-Frauen unmöglich, einen gut bezahlten Job zu bekommen. Vielen würde nur die Prostitution bleiben. Und als transsexuelle Sexarbeiterin sei man der Willkür der Freier ausgesetzt. Freundinnen, die anschaffen gehen, würden ihr immer wieder von Gewalt gegen sie berichten, sagt Heifetz.

»Meiner Einschätzung nach hat die physische Gewalt gegen Transgender-Frauen in Berlin stark zugenommen«, sagt Heifetz. Die schwule Opferberatungsstelle »Maneo« gibt der Künstlerin recht. Für 2016 hat das Projekt 291 homo- oder transfeindlichen Übergriffe in Berlin verzeichnet. Im Vergleich zum Vorjahr waren das immerhin 40 Attacken mehr. Nach Angaben von »Maneo« sei die Dunkelziffer allerdings wesentlich höher, da viele Vorfälle nicht gemeldet würden. Der Schwerpunkt der Übergriffe liege im Bezirk Schöneberg. Hier gibt es rund um den Nollendorfplatz viele schwule Bars, in der Kurfürstenstraße gibt es einen bekannten transsexuellen Straßenstrich. Im Mai wird »Maneo« die aktuellen Zahlen für 2017 veröffentlichen.

Die Berliner Polizei ist sich inzwischen der Brisanz der Lage bewusst und hat eine Task-Force zum Thema homo- und transfeindliche Gewalt aufgestellt. Im Kiez rund um den Straßenstrich in der Kurfürstenstraße sollen zukünftig vermehrt Polizisten in zivil Streife laufen. Das sei ein wichtiger Schritt, um die Sexarbeiterinnen besser schützen zu können, findet Heifetz. Sie fühlt sich trotz der zunehmenden Gewalt wohl in Berlin. »In der Stadt gibt es immer noch genügend Freiraum zur Selbstverwirklichung«, sagt sie. Außerdem sei sie sehr geschichtsinteressiert und Berlin strotze nur so von historisch interessanten Stätten. Wann immer sie Zeit hat, führt Heifetz israelische Touristengruppen zu sehenswerten Orten.

Dass sie sich in Berlin so wohl fühle, habe auch mit den »Safe Zones« zu tun. Damit meint Heifetz schwule und transsexuelle Bars und Clubs, in denen sie keine Angst vor Übergriffen haben muss. »Wir brauchen viel mehr solcher Safe Zones.«

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