Rindfleisch mit Minzfischsoße

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Gehört Vietnam zu Deutschland? Oder nur die Vietnamesen? Es ist in diesen Zeiten ja nicht gewiss, wie man diese Fragen beantworten soll. Bundesinnenminister Seehofer hat mit seiner Bemerkung zum Islam (der, laut Seehofer, nicht zu Deutschland gehört, wohl aber jene, die diesem Glauben anhängen), für Verunsicherung gesorgt. Auf jeden Fall gehört das Essen der Vietnamesen zu Berlin. Und weil Berlin zu Deutschland gehört, gehört auch die vietnamesische Küche zu diesem Land. So einfach, so logisch ist das. Aber die Küche der Vietnamesen ist nicht überall gleich. Gemeinhin wird sie in Berlin eher in Lokalitäten feilgeboten, die unter die Kategorie »Schnellimbiss« fallen. Die Plastikgabel gehört hier ebenso zur Ausstattung wie der Plastiklöffel, das Plastikmesser und der Plastikteller; zur Bückware zählen dagegen die für die vietnamesische Esskultur typischen Essstäbchen.

Wer solch einen Imbiss aufsucht, will nicht lange verweilen, sondern, wie der Name »Schnellimbiss« schon sagt, die Nahrung rasch herunterschlingen und die Lokalität schnell wieder verlassen - wenn er denn nicht schon das Essen »zum Abholen« telefonisch vorbestellt hat. Der Durchschnittsberliner braucht nicht mehr; die schnelle Nahrungsaufnahme (Hauptsache reichlich, fettig und mit viel Fleisch) ist er gewohnt, das kennt er vom »Türken« wie von der Wurstbude vorm S-Bahnhof.

In Lichtenberg, im kleinen Idyll zwischen den S-Bahnhöfen Nöldnerplatz und Ostkreuz, gibt es seit vielen Jahren einen solchen Imbiss, der diese Erwartungen voll und ganz erfüllt. Er nennt sich »Victoria Bistro«. Warum das Lokal so heißt, weiß keiner, vermutlich gab es in den frühen 1990er Jahren einen Vorbesitzer, und die heutigen Betreiber haben praktischerweise den Namen beibehalten. Wäre es ein deutsches Wirtshaus, würde man das Essen »gut bürgerlich nennen«. So kann man es nur wie folgt umschreiben: Es ist kostengünstig, und die Speisekarte wartet mit reichhaltigen Variationen der Grundnahrungsmittel Reis und Reisnudeln auf. Stammgäste wissen, ohne einen Blick auf die laminierte Karte werfen zu müssen, was sie erhalten, wenn sie eine A13 oder eine V1 bestellen.

Seit einigen Wochen hat das Bistro Konkurrenz aus der eigenen Community. Die zweite Generation hat die nächste Stufe der Integration gezündet. Die Kinder der früheren Vertragsarbeiter sind erwachsen geworden; sie unterwerfen sich nicht mehr dem kulinarischen Assimilierungsdiktat wie ihre Eltern, sondern treten selbstbewusst auf. »Đong Đa - Traditional Vietnamesische Cousine« steht über der Lokalität. Benannt ist sie also nach einem Distrikt der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Früher war hier das »Buschvitz« (benannt nach einem Dorf auf Rügen), das traditionelle Berliner Küche (Mittagstisch bis 16 Uhr!) anbot. Jetzt gibt es dort - serviert auf Holztellern - unter anderem Bun Bo Nam Bo. Die Speisekarten auf Papier (nicht laminiert!) klärt auf, dass es sich bei dem Gericht um »mariniertes Rindfleisch im Wok auf Reisfadennudeln« handelt, »abgeschmeckt mit unserer hausgemachten Minzfischsoße«. Und nein: In »Minzfischsoße« fehlt kein »r« zwischen dem »f« und dem »i«.

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