Alles andere als ein Anker

Mit den geplanten Masseneinrichtungen setzt sich eine integrationsfeindliche Politik durch

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Begriff AnKER-Zentrum könnte irreführender kaum sein. Ein Anker verspricht Sicherheit, symbolisiert Halt auf stürmischer See, ohne die Gefahr, weggetrieben zu werden. Doch ist das offensichtlich nicht die Definition, die Bundesinnenminister Horst Seehofer vorschwebt: Der CSU-Politiker will unter diesem Namen vielmehr Zentren errichten, die vor allem ein Ziel verfolgen: Asylsuchende während ihres laufenden Verfahrens von der Gesellschaft zu isolieren. Geplant ist die Umsetzung dieses vermeintlich neuen Konzepts zunächst in einem »Pilot-Projekt«.

Von zunächst fünf soll die Zahl der Zentren bundesweit auf über 40 steigen. Jeweils bis zu 1500 Flüchtlingen sollen untergebracht werden. In den Zentren sollen die Flüchtlinge nach der Ankunft registriert und ihre Identität geklärt werden. Anders als bei Erstaufnahmeeinrichtungen sollen sie nach Abschluss der Prozedur jedoch nicht in Kommunen verteilt werden, wie das bisher gängige Praxis war. Stattdessen bleiben sie bis zum Abschluss ihres Verfahrens in den Einrichtungen. Nur Asylsuchende mit einer »positiven Bleibeperspektive« können noch auf Weiterverteilung in die Kommunen hoffen. Der Aufenthalt in den AnKER-Zentren soll im Regelfall 18 Monate nicht überschreiten, sich bei Familien mit Kindern möglichst auf sechs Monate beschränken. Zudem werden die Einrichtungen mit den »Rückführungen« von Flüchtlingen beauftragt.

So steht es im Koalitionsvertrag; auch die SPD segnete es ohne hörbare Bedenken ab. Als Vorbild dient ein Konzept, das der heutige Innenminister noch in seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident ins Leben gerufen hat: die besondere Aufnahmeeinrichtung in Bamberg und das sogenannte Transitzentrum in Manching bei Ingolstadt. Die beiden umstrittenen Einrichtungen existieren in Bayern seit 2017 – und ihre Zielsetzung weist erstaunliche Parallelen zu den geplanten AnKER-Zentren auf.

Die Bewohner sind dort einer ständigen Überwachung ausgesetzt, haben kaum Privatsphäre und unterliegen Arbeitsverboten. Auch die nötige Achtung der Kinderrechte stand zuletzt immer wieder in Zweifel. In Bamberg ist man entsprechend skeptisch. Bereits im März hat sich das für die Einrichtung verantwortliche Ombudsteam der Stadt in einem Appell deutlich gegen die Einführung derartiger Zentren ausgesprochen, darunter die örtlichen Asylhelfer von »Freund statt fremd«. »Diese Massenunterkünfte verursachen unnötige strukturelle Probleme«, heißt es darin, die trotz vielfältigen Engagements kaum zu lösen sind. »Frustration und Hoffnungslosigkeit, Depression, Aggression und Gewalt bis zum Anstieg von Kriminalität« seien vorprogrammiert. Zugleich werde der Kontakt mit den Einheimischen erschwert, die Akzeptanz sinke deshalb.

Ähnlich sieht das Günter Burkhardt von Pro Asyl. Er erkennt in den geplanten AnKER-Zentren den Versuch, Menschen langfristig zu zermürben. Die Unterbringung in solchen Einrichtungen bringe es mit sich, dass die dortigen Bewohner »psychisch zerstört werden«, sagt Burkhardt im nd-Gespräch. Durch die Enge und das ständige Nichtstun würden Depressionen und Aggressionen begünstigt. Außerdem sei unter solchen Bedingungen ein faires Asylverfahren kaum denkbar. Es fehle der Kontakt mit Anwälten, der ein gewisses Mindestmaß an Fairness gewährleiste. Das sei umso gravierender, als zum Beispiel 60 Prozent der Afghanen mit ihren Klagen gegen abgelehnte Bescheide Erfolg haben. Ihm selbst sind einige Fälle bekannt, wo Betroffenen erst über den Kontakt mit ehrenamtlichen Helfern aus der Bevölkerung zu ihrem Recht verholfen werden konnte.

Die Unterbringung in den geplanten AnKER-Zentren hält Burkhardt für ein »integrationspolitisches Fiasko«. Integration sei an Kontakt mit anderen Menschen geknüpft, an die Möglichkeit, die Sprache zu lernen und anzuwenden. Viele erhielten erst über diese Kontakte die Chance, einem Beruf nachzugehen. In den AnKER-Zentren, wo tausende Menschen untergebracht werden können, sei das nicht möglich. »Was sollen die denn machen, wenn sie dort sind?«, fragt Burkhardt. »Man kann die Menschen doch nicht eineinhalb Jahre an die Wand starren lassen.«

Selbst der Bezirk Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich beim Delegiertentag mit einer Resolution gegen die geplanten Zentren ausgesprochen. Ihre Vertreter störten sich nicht nur die Tatsache, dass die Bundespolizei zusätzlich zu ihren normalen Aufgaben mit der Bewachung der Einrichtung beauftragt werden soll. Auch an der Notwendigkeit, Menschen während des laufenden Asylverfahrens zu isolieren, äußerten die GdP-Mitglieder grundsätzliche Zweifel. »Kasernierung und Isolierung« seien keine Lösung.

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