Auch nach einem Jahr noch umstritten

Neoliberale Reformen verschafften Emmanuel Macron in Frankreich den Ruf, ein »Präsident der Reichen« zu sein

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch nachdem er schon ein Jahr als ihr Präsident regiert, ist Emmanuel Macron unter den Franzosen immer noch stark umstritten. Mit 57 Prozent Zustimmung ist er vor einem Jahr ins Elysée-Palais eingezogen. Das war viel weniger als die 74 Prozent für den ersten linken Präsidenten François Mitterrand 1981, mit dem sich so viele Hoffnungen verbanden, und auch weniger als 1995 für Jacques Chirac (64 %), 2007 für Nicolas Sarkozy (63 %) oder 1974 für Valéry Giscard d’Estaing (60 %) - und kaum mehr als 2012 für François Hollande (55 %).

Alle Präsidenten haben vor allem im ersten Jahr ihrer Amtszeit, in dem sie so manche unpopuläre Maßnahme beschließen mussten, an Sympathien verloren. Auch da landet Macron heute im Mittelfeld mit noch 40 Prozent Zustimmung hinter Mitterrand (56 %), Giscard d’Estaing (51 %) und Chirac (45 %), aber vor Sarkozy (37 %) und Hollande (2 %).

Emmanuel Macron
Emmanuel Macron gewann am 7. Mai 2017 bei einer Wahlbeteiligung von 74,56 Prozent die Stichwahl gegen Marine Le Pen (Front National) mit 66,1 Prozent der Stimmen. Seit dem 14. Mai 2017 ist er Staatspräsident von Frankreich.

Dass er mit 39 Jahren der jüngste Präsident in der Geschichte des Landes wurde und so durch keine politische Vergangenheit »belastet« war, dass er charmant, klug und dynamisch ist und seine Überzeugungen zu vermitteln vermag - all das hat Macron zweifellos Startvorteile verschafft. Von seinen Amtsvorgängern unterscheidet ihn auch, dass er problematische und damit potenziell unpopuläre Maßnahmen bereits im Präsidentschaftswahlkampf angekündigt hat und dass er sich so später, als es an ihre Umsetzung ging, immer darauf berufen konnte, er sei mit diesem Mandat gewählt worden.

Von vielen Franzosen wurde sein Ansatz begrüßt, auf Distanz zu den traditionellen linken wie rechten Parteien zu gehen, die »abgewirtschaftet« hätten und überholt seien, und statt auf Ideologien eher auf Vernunft und Pragmatismus zu setzen. Dass Macron viele überfällige, von seinen Vorgängern nur zu oft verschleppte und nach Widerständen schnell wieder fallen gelassene Reformen in den verschiedensten Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft endlich »durchziehen« wollte, wurde allgemein begrüßt - wenn auch oft nur so lange, bis persönliche Konsequenzen zu spüren waren. »Befreien und schützen« hatte Macron zu seiner Maxime gemacht. Beide Anliegen sollten einander die Waage halten.

Befreien wolle er die Wirtschaft von Bürokratie und überzogenen Vorschriften, damit sie sich dynamisch entwickeln kann. Und gleichzeitig wolle er die sozial schwächeren Franzosen schützen. Doch in der Praxis konnte er mit diesem Balanceakt nicht recht überzeugen, und schnell wurde deutlich, zu welcher Seite das Pendel stärker ausschlug.

Der erste Paukenschlag Macrons war die Arbeitsrechtsreform, mit der vor allem das »Freisetzen« von Arbeitskräften erleichtert, der Arbeitsmarkt »flexibler« gemacht und die Rolle der Gewerkschaften zurückgedrängt werden sollte. Hart an der Grenze der Demokratie war das Verfahren, diese Reform mit Regierungsdekreten umzusetzen, um die zeitraubende Behandlung im Parlament zu vermeiden. Das dafür nötige Ermächtigungsgesetz wurde aber problemlos verabschiedet, angesichts der großen Mehrheit, über die Macrons Bewegung »En marche« in der Nationalversammlung verfügt.

Die handstreichartig durchgedrückte Arbeitsrechtsreform konnte nur gelingen, weil angesichts von einzelnen Zugeständnissen an reformbereite Gewerkschaften keine Einheitsfront zustande kam und die Gewerkschaften der CGT mit ihrem Versuch, wie in der Vergangenheit Streiks und Massendemonstrationen zu organisieren, isoliert und ohne echten Einfluss blieben.

Anders ist die Lage gegenwärtig bei der Bahnreform, mit der die Staatsbahn SNCF in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und der Markt für den Wettbewerb »geöffnet« werden soll. Hier gibt es eine Einheitsfront aller Eisenbahnergewerkschaften im Land, die erstmals einen »Intervall-Streik« ausgerufen haben, bei dem über drei Monate hinweg im Wechsel jeweils zwei Tage gestreikt und dann wieder drei Tage gearbeitet wird.

So sollen die eigenen Lohneinbußen und die Nachteile für die Fahrgäste in Grenzen gehalten werden. Doch Macron und sein Premier Edouard Philippe sind entschlossen, die Reform durchzusetzen. Dabei scheuen sie sich auch nicht, die Bürger gegen die Eisenbahner auszuspielen. Dass Macrons harter Kurs am Ende erfolgreich sein kann, verdeutlicht schon das Bröckeln der Streikbeteiligung von anfangs 48 auf 22 Prozent einen Monat später.

Andererseits zeigte die Großdemonstration am Wochenende in Paris, dass seine Kritiker nicht aufstecken wollen. Die Franzosen seien in der Lage, gemeinsam zu kämpfen, rief der Chef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, den Vertretern der Eisenbahner, Studenten, Krankenpflegern und Rentnern zu. »Es ist sinnlos zu hoffen, dass wir uns geschlagen geben!«

Dass Macron schnell in den Ruf geriet, »Präsident der Reichen« zu sein, verdankt er seinen mehrheitlich neoliberal ausgerichteten Reformen sowie Maßnahmen wie der Abschaffung der »Reichensteuer« ISF, der pauschalen Kürzung des Wohngelds für alle Bezugsberechtigten und der Erhöhung der Steuern auf die Renten.

Mehr Erfolg als im Inland hatte Macron mit seiner Außenpolitik. Seine Bemühungen um die Neubelebung des »Europaprozesses« werden in dieser Woche in Aachen mit dem Karlspreis gewürdigt. An seine Grenzen ist Macron jedoch gestoßen, als er Deutschland für mehr Gemeinsamkeit in der Finanzpolitik der EU gewinnen wollte. Er konnte sich jedoch revanchieren, indem er sich auf internationalem Parkett als Sprecher der Europäischen Union profilierte, vermittelte und intervenierte oder den Kontakt zu schwierigen Partnern wie Donald Trump und Wladimir Putin hielt.

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