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  • Durchsuchungen gegen Schleusernetzwerk

Razzien zeigen Verbindungen zwischen Schleusern und Reichsbürgerszene

Großrazzia in 21 Gebäuden in Hamburg, Bremen und Sachsen-Anhalt / Buchhalterin von Schleusernetzwerk ist auch Vorsteherin von Reichsbürger-Gemeinde

  • Lesedauer: 3 Min.

Hamburg. Mit einer großangelegten Razzia ist die Bundespolizei in Hamburg, Bremen und der Altmark gegen einen mutmaßlichen Schleuserring vorgegangen. Rund 800 Beamte sollen dabei seit Montagabend 21 Durchsuchungsbefehle vollstrecken, sagte ein Sprecher der Bundespolizei in Pirna. Mehrere Tatverdächtige sollen überwiegend moldauische Staatsbürger nach Deutschland geschleust und illegal beschäftigt haben. Drei von von ihnen wurden dabei vorläufig festgenommen. Zuerst hatten NDR, WDR und »Süddeutsche Zeitung« über die Durchsuchungen berichtet. Es handelt sich um zwei Deutsche und einen russischen Staatsangehörigen.

Sie stehen offenbar unter Verdacht, bandenmäßig im großen Stil Personen geschleust, illegal beschäftigt und für sie Dokumente gefälscht zu haben. Besonders brisant in dem Fall: Es finden sich Verbindungen in die sogenannte Reichsbürgerszene in Sachsen-Anhalt – ein Milieu, das nicht nur den deutschen Staat ablehnt, sondern zunehmend eigene Strukturen aufbaut.

Offenbar ermitteln Bundespolizei und Zoll seit letztem Jahr gemeinsam gegen das Netzwerk, zu dem auch eine aus Österreich stammende Familie M. gehören soll. Diese betreibe eine Sicherheitsfirma, in der die geschleusten Moldauer beschäftigt waren und die sie an verschiedene Auftraggeber »verlieh«. Dann hätten die angeblichen »Rumänen« im Hamburger Hafen, als Wachschutz auf verschiedenen Baustellen und sogar in Asylbewerberheimen gearbeitet. Seit vergangenem Oktober führte die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein Ermittlungsverfahren gegen das Schleusernetzwerk.

Insgesamt durchsuchte die Polizei mit Hilfe von Spezialkräften am Montag und Dienstag laut einem Polizeisprecher 16 Gebäude im Raum Hamburg, zwei in Bremen und drei in der Altmark.

Besonders von den Durchsuchungen in Arendssee in Sachsen-Anhalt erhoffen sich die Ermittler neue Erkenntnisse. Dort wohne und arbeite die Buchhalterin der Sicherheitsfirma, in der die geschleusten Migranten arbeiteten. Ihr Ex-Ehemann und Sohn betreiben demnach die Firma. Ob sie oder die Firmenchefs von den Schleusungen wussten oder sogar beteiligt waren, sollen die Ermittlungen zeigen.

Die Buchhalterin sei gleichzeitig Gemeindevorsteherin der selbsternannten »Samtgemeinde Alte Marck«, schreibt der NDR. Die Gemeinschaft residiert im Altmarkkreis Salzwedel und im Landkreis Stendal. Sie lehnt nicht nur die Bundesrepublik Deutschland als »Scheinstaat« ab, sondern hat auch eine parallele kommunale Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur aufgebaut. Die Spezialkräfte durchsuchten Wohnung und Büro der »Gemeindevorsteherin«, das zugleich der Reichsbürgergemeinde als Versammlungsort dient.

Dort schließe die Frau auch Reichsbürgerehen, stellt Schein-Geburtsurkunden und Gewerbescheine aus - alles gegen Gebühr. Die »Samtgemeinde Alte Marck« taucht auch im Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalts auf. Sie gilt als extremistisch, weil sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat ablehnt, aber nicht als rechtsextrem.

Dem Zusammenschluss gehören nach NDR-Informationen etwa 30 Mitglieder an. Zwar distanziert sich die Gemeinde offiziell davon, an das Fortbestehen des Reiches zu glauben und nennt sich »Selbstversorger«. Ihre Mitglieder tummeln sich jedoch in der Reichsbürgerszene. Nach derzeitigen Erkenntnissen des Verfassungsschutz gehören zu dieser insgesamt etwa 18.000 Personen.

Die Ermittler wollen nun auch prüfen, ob Einkünfte aus dem Schleusernetzwerk nur der Buchhalterin und ihrer Familie selbst oder auch der Reichsbürgergemeinde zugeflossen sind. Das wäre eine neue Qualität der Organisation im Reichsbürgermilieu.

Nach Informationen von NDR, WDR und SZ lebt die Frau inzwischen mit einem ehemaligen SEK-Beamten zusammen. Er ist wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene suspendiert, darf aber Waffen besitzen. dpa/nd

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