- Politik
- Streit um Paragrafen 219a
Ärztetag gespalten: Ändern oder abschaffen?
Deutsche Ärzteschaft ist uneinig über die Zukunft des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche
Am Rande des Ärztetages in Erfurt haben am Dienstag etwa 40 Menschen aus verschiedenen Organisationen gemeinsam für eine Abschaffung des Paragrafen 219a demonstriert. Mit der Aktion sollte ein entsprechender Antrag unterstützt werden. Der Antrag von drei Delegierten aus Baden-Württemberg ruft den Ärztetag dazu auf, von der Bundesregierung eine »ersatzlose Streichung« des Paragrafen 219a zu verlangen. Die Vorschrift aus dem Strafgesetzbuch verbietet ein »Bewerbung« von Schwangerschaftsabbrüchen.
In dem Antrag, der dem »nd« vorliegt, heißt es, dass der Paragraf den »heutigen Vorstellungen von Informationsrecht, Selbstbestimmung und freier Arztwahl« widerspreche. In dem Antrag heißt es weiter: »Ungewollt schwangere Frauen befinden sich in einer Notlage und benötigen qualifizierte neutrale Informationen, die sie in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden, ob, wie und bei wem sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen«. Ärztinnen und Ärzte dürften nicht »kriminalisiert« werden, weil sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen.
Antrag fordert »ersatzlose Streichung«
Ärzte, die dennoch bereit sind, Schwangerschaften zu unterbrechen, werden immer häufiger belästigt und eingeschüchtert, auch durch Anzeigen der Lebensschützer-Bewegung nach Paragraf 219a wegen angeblichen »Werbens« für Schwangerschaftsabbrüche. Die Notwendigkeit einer Änderung wurde gerade in den letzten Monaten wieder deutlicher gefordert. Dazu trug auch der Fall der Ärztin Kristina Hänel bei. Sie war auf Basis des Paragrafen 219a zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden, weil sie online darüber informiert hatte, dass sie auch Abbrüche durchführt. Das Urteil zeige, dass Gerichte Verfahren wegen dieses Paragrafen eben nicht immer einstellen.
»Recht auf Information« und »Weg mit Paragraf 219« stand auf Transparenten, die kritische Mediziner und FeministInnen am Rande des Ärztetag hochhielten. Carina Borzim vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ) verwies in ihrer Rede zur Protestaktion auch darauf, dass einige Kolleginnen sogar ihren Ruhestand verschieben, um mangels Nachfolge hilfesuchenden Frauen weiterhin einen Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen.
Delegierte auf Ärztetag uneins
Der Ärztetag selber ist in der Frage des Umgangs mit Paragrafen 219a offenbar gespalten. Unter den Ländesärztekammern votierten im Vorfeld nur Hamburg neben einzelnen Delegierten, etwa aus Baden-Württemberg, für eine Abschaffung des Paragrafen, für die mildere Variante einer Gesetzesänderung sprachen sich im Vorfeld die Kammern des Saarlandes, Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsen-Anhalts aus. Die Ärzteschaften der übrigen Regionen wollten sich vor dem Ärztetag noch nicht dazu äußern. Für den Erhalt des Status quo waren nur Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Der Antrag und der Paragraf 219a sollen offenbar am Donnerstag behandelt werden.
Weil ein deutlicher Entschluss gegen den Paragrafen 219a auf dem Ärztetag offenbar nicht mehrheitsfähig ist, suchen die Ärztevertreter nach einem Kompromiss. Für die Bundesärztekammer votierte deren Präsidenten Frank Ulrich Montgomery auf dem Ärztetag ebenfalls für eine Reform. Es solle eine unabhängige Plattform im Internet geschaffen werden, die alle nötigen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch enthält sowie eine Liste der Ärzte und Einrichtungen, die diesen durchführen.
Kritische Mediziner gegen Kompromiss
Susanne Zickler und Bernhard Winter vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ) halten eine zentrale Liste für nicht praxistauglich, weil ihre Kolleginnen und Kollegen dort noch mehr öffentlicher Diffamierung ausgesetzt wären.
Einem Kompromiss scheint sich auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) anschließen zu können, der aber weiter suggeriert, es gebe auch jetzt Werbung für diese Intervention – und die lehne er ab. Der Begriff allein unterstelle, so hingegen kritische Ärzte, dass die Abbrüche für Mediziner ein lukratives Geschäft seien. De facto ließe sich mit der Betreuung von Schwangerschaften jedoch deutlich mehr Geld verdienen.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nur unter bestimmten Bedingungen möglich. So müssen sich betroffene Frauen beraten lassen, bevor der Eingriff oder die Gabe eines entsprechenden Medikaments erfolgen darf. Schon allein diese eingeschränkte Möglichkeit ist einer kleinen Gruppe von Lebensschützern und ultrakonservativen Christen ein Dorn im Auge. Im Kampf gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen steht ihnen für die Stimmungsmache gegen Ärzte, die Abtreibungen durchführen, auch der Paragraf 219a Strafgesetzbuch zur Verfügung.
Ein Relikt aus der NS-Zeit
Die Regelung gehört zum Erbe der NS-Zeit, das noch immer, teils bruchstückhaft, in deutschen Gesetzen enthalten ist. Der Paragraf stammt aus einer Zeit des vollständigen Verbots von Abtreibungen. 1933 wurde er im Zuge der Umstrukturierung des Rechts nach den Kriterien der neuen Machthaber geschaffen und nach 1945 jeweils nur leicht verändert. Den Anachronismus wollen etliche Konservative, darunter Gesundheitsminister Spahn und auch viel Unions-Abgeordnete im Bundestag, nicht sehen.
Im Bundestag wollen SPD, LINKE und Grüne den Paragrafen abschaffen, die FDP will ihn reformieren, CDU/CSU sträuben sich gegen Änderungen. Erhalten will ihn auch die AfD. Im Bundesrat warben zuletzt Ende April mehrere Länder für die Abschaffung, während Bayern die Regelung für unverzichtbar hielt.
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