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  • Initiative "Reconquista Internet"

Armee der virtuellen Herzen

Robert D. Meyer über die virtuelle Initiative »Reconquista Internet« von Jan Böhmermann

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Jan Böhmermanns neuester Coup einer virtuellen Armee der Liebe gegen rechte Internettrolle erinnert an die Geschichte des Jungen, der aus Spaß um Hilfe rief, weil der böse Wolf drohe, ihn zu fressen. Als Isegrim eines Tages tatsächlich seine Zähne fletschte, war keiner da, der dem Jungen glaubte. Wer wusste schon, ob er dieses Mal die Wahrheit sagt. Böhmermanns satirische Kunst ist, allerdings unter positiven Vorzeichen, inzwischen auf einem ähnlichen Niveau angekommen: Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob das neue Projekt des 37-Jährigen einfach nur der Unterhaltung dient, satirische Aufklärung leistet, mit einem doppelten Boden daherkommt oder sehr, sehr ernst gemeint ist.

Medienjournalisten sind sich uneinig wie selten, worin das Kernanliegen der von Böhmermann begründeten Bürgerrechtsbewegung »Reconquista Internet« besteht. Gibt es diesen Zweck überhaupt? Vor zwei Wochen rief der Moderator, mit Stahlhelm und Sturmmaske bekleidet, in seiner Sendung Neo Magazin Royale dazu auf, den »Wichsern, die uns den Spaß am Internet verderben«, ihren Spaß am Internet zu verderben. Adressat dieser Kampfansage ist das rechtsradikale Internet-Netzwerk »Reconquista Germanica«, eine Gruppe von Internettrollen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, möglichst viel Hass zu verbreiten. Ihre Opfer? Medien, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens. In seinem Aufruf persifliert Böhmermann die rechte Trollarmee und setzt ihr mit »Reconquista Internet« eine Bewegung entgegen. So weit, so satirisch.

Nun ist das Ganze allerdings nicht als nett gemeinte Inszenierung für eine »Royale«-Episode angelegt, der Moderator denkt größer: Seine Bewegung existiert tatsächlich und organisiert sich ähnlich ihres zu bekämpfenden Vorbildes über die Internetchatanwendung Discord. Inzwischen gehören mehr als 50 000 Menschen der Gruppe an, für die Böhmermann kräftig die Werbetrommel rührt, prominent etwa auf der Digitalkonferenz Re:Publica. Von da aus schwappt »Reconquista Internet« ins reale Leben hinüber. Vergangenen Montag projizierten Aktivisten eine Parole an die Dresdner Frauenkirche. An einem Ort, von dem aus nur wenige hundert Meter entfernt sich weiterhin die rassistische Pegida-Gruppierung trifft, war die Botschaft zu lesen: »Durchhalten, freundliches Dresden! Ihr seid nicht alleine! ReconquistaInternet«.

Virtuell ist die Bewegung ebenfalls aktiv: Teilnehmer organisieren sich, um Onlineumfragen zu beeinflussen, Hashtags bei Twitter zu kapern oder auf beleidigende Kommentare in den sozialen Netzwerken zu reagieren. Dabei sollen sie »immer freundlich, verständnisvoll, vernünftig und zugeneigt« agieren, wie es in einem Reconquista-Internet-Kodex heißt.

Für die eigentliche Debatte, ob das alles nicht doch eine ganz anders gemeinte Satire sein könnte, sorgt ein Teilaspekt der Aktion: Via Twitter verbreitete Böhmermann kurzzeitig zwei Listen mit etwa 1000 Twitterprofilen, hinter denen einerseits Aktivisten der rechten »Reconquista Germanica« stecken und andererseits Personen, die mit dem »rechten Spektrum« vernetzt seien. Neben knallharten Nazi-Accounts enthalten die Listen allerdings auch die Namen von AfD-Politikern wie Jörg Meuthen, Beatrix von Storch oder des in neurechte Gefilde abgedrifteten Publizisten Roland Tichy. Böhmermann gehe es darum, zu zeigen, »wie schnell totalitäres Denken wieder cool werden« könne, meint Jochen Bittner (auf zeit.de) deshalb aus dem Projekt herauslesen zu können. »Kann sich irgendjemand vorstellen, dass ein liberaler Geist wie Jan Böhmermann konservative und/oder regierungskritische Twitter-User in einen Topf wirft mit Neonazis?« Der »aufklärerische Hintergedanke« bestehe darin, aufzuzeigen, wie »die Meinungsfreiheit nicht nur durch den Staat, sondern auch durch gesellschaftliche Dogmenkreation eingeschränkt werden« könne.

Anders bewertet Julian Dörr auf sueddeutsche.de die Armee der Liebe. Diese sei »so etwas wie Böhmermanns trojanisches Pferd. Im Korpus einer Satire-Aktion schmuggelt er ein politisches Anliegen in die gesellschaftliche Debatte.« Dem Satiriker gelinge etwas, woran »vor allem linke Politiker« scheiterten: »die Mobilisierung der Basis«. Dörr stellt deshalb fest: »Was aussieht wie Satire, ist eigentlich Aktivismus.«

An selbigen will Nina Scholz auf freitag.de nicht glauben. Schon der Name ReconquistaInternet zeige, dass es ums Netz gehe. »Darüber existiert das anhaltende Missverständnis, es handele sich um einen besseren und utopischen Ort - aus dieser Perspektive kann man verstehen, warum Hass, Wut, Gewaltandrohungen als fremd wahrgenommen werden.« Aber auch das Netz sei nur so gut oder schlecht wie der Rest der Gesellschaft. Scholz appelliert deshalb: Um »gegen Netzwerke wie ›Reconquista Germanica‹ vorzugehen, müssten wir die ganz realen Zurichtungen beseitigen, die für ihren Erfolg sorgen«.

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