Strommasten statt Eiffelturm

Im sächsischen Pillnitz werden Arbeiten von 14 Modefotografen aus der legendären DDR-Zeitschrift »Sibylle« präsentiert

  • Simona Block, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Freche Karos im Straßencafé, Satin-Vamp im Zoo oder Engel in der Stadt: Aufreizend und fröhlich, naiv und geheimnisvoll, verführerisch und distanziert blicken schöne Frauen in die Kamera. Sie sind praktisch gekleidet oder opulent gewandet, immer nach dem neuesten Schrei - im Sozialismus. Die Bilderwand im Wasserpalais von Schloss Pillnitz bei Dresden bietet eine Zeitreise durch die DDR-Modefotografie, publiziert in der legendären »Sibylle - Zeitschrift für Mode und Kultur«. Im Fokus der Schau stehen Arbeiten von 14 Modefotografen. »Es ist aber keine DDR-Ausstellung«, betont Kuratorin Kerstin Stöver.

Es gibt sich die Crème de la Crème der Zunft der 1950er bis 1990er Jahre aus dem Osten die Ehre im einstigen Sommersitz von Kurfürst August dem Starken, der schöne Frauen und erlesene Dinge schätzte. Dort reihen sich nun in dichter Hängung Aufnahmen klassischer Foto- Shootings vor sozialistischer Großstadtkulisse in Berlin, Budapest oder Moskau. Hinzu kommen Reiseberichte aus Südosteuropa oder auch experimentelle Bilder aus dem Arbeits- und Lebensalltag. »Die ›Sibylle‹ mag als Modezeitschrift gegolten haben, unpolitisch war sie jedoch nie, sondern stets Reflexion der zeitgeschichtlichen Verhältnisse«, sagt Ute Mahler, die zu den stilprägenden Fotografen des Ostens zählte. »Modefotografie kann viel mehr sein als die Abbildung eines Kleides, kann mehr wollen, als nur Begehrlichkeiten zu wecken.« Die »Sibylle« habe Generationen von Frauen und Familien aus der DDR begleitet, »die mir ihr jung waren, erwachsen wurden und die ihre Träume mit uns geträumt haben«. Den Fotografen gab die Zeitschrift alle zwei Monate ein Podium für Veröffentlichung. »Es gab eine gewisse Freiheit, es ging mehr um ein Lebensgefühl, dem man nachgeträumt hat«, erinnert sich Mahler, die mit ihrem Mann Werner nach dem Mauerfall die erfolgreiche Agentur »Ostkreuz« gründete.

Die 68-Jährige zückt noch immer die Kamera, aber nicht mehr für Mode. »Ich fotografiere das wahre Leben.« Auch die »Sibylle«-Bilder zeigen neben Kleidern das Frauenbild der Zeit und Architektur: Strommast statt Eiffelturm, Bahnhof Warschau statt Grand Central in New York, Plattenbau statt Wolkenkratzer.

Auch die junge Barbara Wandelt schaut von den riesigen Cover-Repros, die von der Decke hängen. Ab 1964 war sie das »Sibylle-Mädchen«, nachdem Günter Rössler sie bei einer Ferienfahrt an die Ostsee in einem Bus entdeckt hatte. Da war sie 16 - und zwei Jahre später freischaffendes Fotomodell. »Den Beruf gab es eigentlich nicht, aber das war mir egal«, erzählt die 73-Jährige. Bis Mitte der 1970er Jahre war Wandelt das Gesicht der oft unter der Hand weitergereichten »Sibylle«, ohne Konkurrenzdruck. »So etwas wie Zickenkrieg gab es nicht«, betont sie. Kuratorin Stöver bestätigt: »Die ›Sibylle‹ war wie eine große Familie.«

Die von der Kunsthalle Rostock konzipierte Schau hat einen eigenen Dresdner Touch. In sechs Vitrinen ist Modeschmuck der 1980er Jahre aus dem Berliner Stadtmuseum zu sehen, den »Sibylle«-Models auf Bildern tragen. Auf Mode selbst haben die Kuratoren verzichtet. »Es geht um die Fotos, der Blick soll nicht abgelenkt werden«, sagt Stöver. Die »Sibylle«-Schau beleuchte aber auch ein Stück Kulturgeschichte. »Sie war ein künstlerischer und politischer Fluchtort.«

Das Konzept aus Fotos mit kosmopolitischem Charme, Beiträgen über Mode, Kunst, Architektur und Frauen aus dem normalen Leben fruchtete. Die sechs Ausgaben mit je rund 200 000 Exemplaren pro Jahr waren stets in kürzester Zeit vergriffen. Modeentwürfe, Dokumente, Zeichnungen machen deren Qualität der Zeitschrift greifbar und sorgen für viele Aha-Erlebnisse. Im Rahmenprogramm plaudern Fotografen und Models aus dem »Sibylle«-Nähkästchen - und man kann ein T-Shirt nach Original-Schnittmuster schneidern und gestalten. dpa/nd

Die Ausstellung »Sibylle 1956-1995. Zeitschrift für Mode und Kultur« ist bis 4. November im Schloss Pillnitz zu sehen; täglich außer montags 10 Uhr bis 18 Uhr

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