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Jugendlicher Aufbruch eines Altmeisters
Die Ladengalerie der »Jungen Welt« zeigt in einer Ausstellung die frühe Druckgrafik des Künstlers Arno Mohr
Mal angenommen, reihenweise würden junge Kunstwissenschaftler mit neu aufgefrischtem Forschergeist Künstlerpersönlichkeiten der jüngeren Vergangenheit aufspüren. Da könnten sie überraschende Feststellungen machen. Markante Punkte innerhalb von Künstlerbiografien feststellend, fänden sie ein überraschendes Beziehungsgeflecht zwischen real existierendem menschlichem Milieu und künstlerisch verdichtendem Auf-Den-Punkt-Bringen. Gerade vor der eigenen Berliner Haustür fänden sie unverwechselbar individuell Stil prägende Handschriften zum beliebigen Interpretieren. Zum Beispiel Arno Mohr und seine ostseits vom Westgeist so auffällig kreativen Kunstgefährten.
Ein Anflug von Wissenschaftlichkeit gepaart mit einem gewissen Unterhaltungswert wäre da schon ganz hübsch. Dieses Was-Wäre-Wenn klingt deshalb so hypothetisch, weil das so selten geschieht. Da wird zum Beispiel so gut wie gar nicht das erschlossen, was als »Angewandte Kunst« zunehmend nur noch als Geschichte existiert. In welcher Weise angewandt? Weil da Kunst für einen Alltag voller Arbeit und Erholung gemacht wurde, den die eigenen Bürger halt so erleben. Womöglich humorvoll. Vielleicht sogar geistreich. Und das nicht abseitig völlig abstrakt.
Nein, ganz diesseitig, doch abstrahierend gezeichnet. Noch nicht in dem fotografisch lobhudelnden billigen Abklatsch, wie er in glatter Oberflächlichkeit gegenwärtig gepflegt wird. Eine visuelle Alltagskultur von Rang, gelehrt an der von Mohr selbst mitbegründeten Kunsthochschule in Berlin-Weißensee.
Da das meiste in dieser Richtung zur Rede Stehende von den drei Großbuchstaben D und D und R gebrandmarkt ist, erledigt sich mit dem Attribut »systemnah« manches. Worum drücken sich all die leider lediglich aktenkundig lesefähigen und mit Versatzstücken aus der Mottenkiste des Kalten Krieges hantierenden Nachwuchsexpert(inn)en nicht alles! Nichts aus ihrer Sicht Formuliertes lesen wir. Da müssen Ausnahmefiguren ran: Genau hingucken, sich wundern, staunen - und urteilen. Wie der von Hause aus diplomierte und promovierte Zoologe Andreas Wessel. Einst Vorzugsschüler, nun Nacheiferer des Verhaltensforschers Günter Tembrock. Einer Kunstliebhaberei nicht nur im stillen Kämmerlein frönend, kennt er sich aus. Mit Arno Mohr und seinem Schaffen ist dieser Berliner inzwischen so vertraut, dass er bereits an einem Werkverzeichnis arbeitet. Diese eher quantitative Bemühung gilt dennoch Qualitativem.
Und die Qualität des Arno Mohr ist die grafische Kunst. Wie übrigens manch anderem deutschen Maler auch, glückt ihm die elementare zeichnerische Umsetzung seiner ureigenen Bildvorstellung auf ungleich souveränere Weise als das elementar koloristische Erfassen. Bedenkt man, dass in dieser Ausstellung lediglich 33 grafische Blätter versammelt sind, ist ihre Beweiskraft erstaunlich. Sein karges Programm einer lapidaren Menschendarstellung ist ganz ohne Auftrag offensichtlich proletarisch geprägt. In einem durch Totalzerstörung seines Hauptstadt-Glamours beraubten Gesamtberlin waren der Wedding, Kreuzberg und Neukölln zentrale Arbeitermilieus. Mohr wurde mit den Jahren erst via Druckwerkstatt der Hochschule Weißensee eine Ostberliner Institution. Schulbildend, darf man sagen.
»Mohr vor Mohr« überschreibt Andreas Wessel seinen Text deshalb, weil er sich hier ausschließlich dem Frühwerk des ersten Mohrschen Schaffensjahrzehnts widmet. Und das unterschied sich von allem Folgenden. Inwiefern? Überaus kraftvoll, ja fast schwerblütig und recht ernsthaft ist das im Vergleich zum ironiegeprägten, eher sparsam skizzenhaften bald danach einsetzenden Haupt-und-Spätwerk. Diese Schaffensperiode hier wurde nach wenigen Jahren lediglich überschattet von der unseligen Formalismus-Kampagne. Angeheizt von parteidogmatisch programmierten Scharlatanen, war der Spuk zwar nach wenigen Jahren vorbei. Er hinterließ aber nie verheilende Wunden. Arno Mohr, René Graetz, Horst Strempel, Karl Hofer, gerade diese Berliner waren vom Bannstrahl getroffen. Umso wichtiger ist es, hier zu zeigen, wie das Mohrsche Lebenswerk darüber triumphierte.
In dem vom Verlag 8. Mai edierten 36-seitigen, vom Verfasser selbst vorzüglich gestalteten Katalogheft ist anseh- und nachlesbar, worum es geht. Das Hineinwachsen des Künstlers in die selbst gestellte künstlerische Aufgabe wird in detailliertem Bericht deutlich: Wie er sich überhaupt erst in der Dresdner Druckwerkstatt der Ehrhardts mit den Tücken von Litho und Radierung vertraut macht. Denn vorher gab es nur die elementar urwüchsigen Holzschnitte wie 1948 den vital gesehenen Kopf von Karl Marx. 1949 geben die »Stahlwerker« als souverän gemeisterte Aquatinta-Radierung eine Richtung vor, die ihm auf einen Schlag einen Platz in der Kunstszene des neugegründeten Staates sicherte. In dessen Künstlerverband er ein gewichtiges, oft genug scharf akzentuiertes Wörtchen mitzureden hatte.
Weshalb sind solche Mini-Ausstellungen so wichtig? Weil das Staatliche Kupferstichkabinett Berlin und das Stadtmuseum Berlin alle möglichen Themen zu entdecken meinen müssen, nur gerade diese Blüte der angewandten grafischen Kunst nicht. In einer Zeit, wo Zeichnen und Gezeichnetes, Grafik und Grafisches es schwer haben, in jungen begabten Talenten weiter zu leben und zu gedeihen, umso mehr. Manga-Perfektion und Computer-Animation allein werden das nicht richten.
»Arno Mohr: Frühe Druckgrafik 1947 - 1955«, bis zum 12. Juni in der Ladengalerie der Tageszeitung »Junge Welt«, Torstraße 6, Mitte
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