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Al-Sadr gewinnt in Irak
Schiitenführer setzt im Bündnis mit Kommunisten auf Ende der säkularen Spaltung
Die Unabhängige Hohe Wahlkommission (IHEC) im Irak hat ein vorläufiges Ergebnis der Parlamentswahlen am vergangenen Wochenende bekannt gegeben. Es basiert auf den Ergebnissen in 16 der 18 irakischen Provinzen. Derzeit führt die Sairun-Allianz, ein Bündnis zwischen dem Geistlichen Muktada al-Sadr und sieben säkularen Parteien, darunter auch die Kommunistische Partei. Allerdings kann kein Bündnis alleine regieren, es muss eine Koalition gefunden werden. Bis das gelingt, bleibt die alte Regierung von Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi im Amt. Der und die Al-Nasr-Allianz konnten sich nur knapp auf den zweiten Platz retten.
Auf Platz drei liegt die Al-Fatah-Allianz, die militärische Kräfte vereint, die seit 2014 im Kampf gegen den »Islamischen Staat« an der Seite der irakischen Armee Erfolge errungen haben. Geführt wird die Allianz von Hadi al-Amiri, dem Vorsitzenden der im Iran ausgebildeten Badr-Organisation. Amiri ist auch einer der führenden Kommandanten der Volksmobilisierungseinheiten (Hascht al-Schaabi). Die Miliz hatte sich 2014 infolge einer Fatwa von Ayatollah Ali al-Sistani gebildet, der die Iraker aufgerufen hatte, an der Seite der irakischen Armee gegen den »Islamischen Staat« zu kämpfen. Vor den Wahlen hatte Sistani allerdings wiederholt die Auflösung der Truppe gefordert, weil sie ihren Auftrag - die Niederschlagung des »Islamischen Staates« - erfüllt hätten. Sistani, der im Irak als religiöse und gesellschaftliche Autorität gilt, hatte sich vor den Wahlen auch der Korruption im Land eine scharfe Absage erteilt und die Iraker aufgefordert, keinem korrupten Politiker ihre Stimmen zu geben.
Die Kurden waren mit verschiedenen Listen und Parteien vertreten, darunter die Partei Gorran (Wandel) und die bekannten kurdischen Parteien: Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK). Die drei kurdischen Provinzen können insgesamt 46 Abgeordnete in das nationale Parlament in Bagdad wählen. In Erbil haben sie darüber hinaus ein autonomes kurdisches Parlament samt Regierung.
Angetreten waren 6990 Kandidaten, darunter 2011 Frauen. 87 Parteien, Bündnisse und Listen standen zur Wahl. Im irakischen Parlament sind 329 Sitze zu vergeben, von denen 25 Prozent (83) für Frauen und weitere neun Sitze für Minderheiten (Christen, Shabaki, Sabäer, Yesiden, Faily Kurden) reserviert sind. 24 Millionen der rund 38 Millionen Iraker waren wahlberechtigt, 8959 Wahlzentren waren landesweit eingerichtet, 166 allein in 70 Lagern für Inlandsvertriebene.
Die große Zahl an Kandidaten und an Kandidatinnen sowie die vielen Parteien, die angetreten waren zeigten, dass trotz Krieg und Vertreibung weiterhin großes Interesse an der politischen Entwicklung im Land besteht. Die vielen Parteien weisen auch auf eine große Zersplitterung der Gesellschaft hin. Dass dennoch die Wahlbeteiligung niedrig ausfiel dürfte der immensen Zerstörung von großen Städten und der Tatsache geschuldet sein, dass mehr als 2 Millionen Iraker als Inlandsvertriebene in Lagern und provisorischen Unterkünften leben.
Viele Wahlberechtigte dürften der Abstimmung auch aus Enttäuschung über die Politik der vergangenen vier Jahre ferngeblieben sein. Während die Korruption immer mehr zunimmt und Ministerpräsident al-Abadi sich vor allem auf den Kampf gegen den »Islamischen Staat« konzentrierte, wurden Bildung und Gesundheit, die Wiederherstellung öffentlicher Infrastruktur wie Strom- und Wasserversorgung vergessen. Mit 44,52 Prozent war die Wahlbeteiligung bedeutend niedriger als bei den früheren Wahlen. 2015 hatten sich 79 Prozent der Wahlberechtigten, 2014 60 und 2010 62,4 Prozent an den Wahlen beteiligt.
Muktada Sadr und die nach ihm benannte Sadr-Bewegung hatte dagegen mit der Sairun-Allianz seine Anhängerschaft vor allem in Bagdad mobilisieren können. Dhia al-Asadi, der den Ahrar-Block - den politischen Flügel der Sadr-Bewegung im Parlament - führt, erklärte im Gespräch mit National Publik Radio Anfang April, man könne die Realität nicht ignorieren: »Was unser Land zerstört hat, sind Gruppen oder Parteien, die entlang von religiösen Themen ihre Politik bestimmt haben.« Die Sadr-Bewegung hatte in den vergangenen Jahren wiederholt gegen Korruption und die verfehlte Wohnungsbaupolitik protestiert. Das dürfte auch zu dem Bündnis mit anderen säkularen Parteien und der Kommunistischen Partei geführt haben. Die Iraker wollten einen Wandel, die »Politik der letzten 15 Jahre«, also seit der US-Invasion 2003, »überzeugt niemanden mehr, wählen zu gehen«, kommentierte Amir al-Saadi, Politikprofessor an der Bagdad Universität.
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