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Am kürzeren Hebel
Angebliche Pläne der italienischen Wahlsieger sorgen nur kurzzeitig für Markt-Unruhe
Der Koalitionsvertrag der künftigen italienischen Rechtsregierung war noch gar nicht fertig, da sorgte er bereits für Unruhe an den Finanzmärkten. Was war geschehen? Die »Huffington Post« hatte am Mittwoch aus einem Entwurf der rechtsextremen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung zitiert, wonach Italien aus dem Euro austreten werde, sich an die EU-Defizitkriterien nicht mehr halten wolle und eine Streichung von Staatsschulden verlange. An den Finanzmärkten sorgte dies für Nervosität, denn einige Investoren fühlten sich an die Zeit der EU-Staatsschuldenkrise erinnert: Der Euro fiel auf ein Jahrestief, der italienische Aktienindex verlor gut ein Prozent.
Am Tag danach war der Sturm im Wasserglas wieder beendet; die Kurse stabilisierten sich. Das lag auch daran, dass beide künftigen Regierungsparteien erklärten, der Inhalt des Entwurfs sei falsch dargestellt oder längst abgeschwächt. Details zum aktuellen Stand wurden aber nicht gegeben. Dagegen berichtete die Zeitung »Il Fatto Quotidiano« aus einer neueren Version des Programms, dass darin von einem Euro-Ausstieg keine Rede sei. Allerdings werde gefordert, dass »bestimmte Verantwortlichkeiten« an die EU-Mitgliedstaaten zurückgehen.
Jenseits von Formulierungen in derartigen Papieren - ein rascher Euro-Austritt wäre schlicht nicht möglich. Anders als beim Austritt aus der Europäischen Union gibt es nämlich nicht einmal vage Regularien dafür. Insofern geht Brüssel davon aus, wer die Gemeinschaftswährung verlassen wolle, müsse aus der EU austreten. Wie der Brexit zeigt, ist dies eine höchst komplizierte Materie, die mehrere Jahre braucht. Käme noch eine Euro-Rückabwicklung dazu, würde das noch viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, will man nicht ein komplettes Finanz- und Bankenchaos in Italien riskieren, was selbst ultrarechte EU-Skeptiker nicht anstreben dürften.
Das generelle Problem bei Koalitionsverträgen ist, dass sich darin möglichst viele Wahlversprechen der beteiligten Parteien wiederfinden müssen, auch wenn diese gar nicht durchdacht waren. Das gilt für Rechtspopulisten in besonderem Maße, deren Erfolge ja auf Provokationen beruhen, nicht auf Lösungsvorschlägen.
Die Streichung von Schulden wäre dagegen eine nicht von vorn herein aussichtslose Forderung. Die designierten Koalitionäre möchten sich aber nicht mit den Finanzmärkten und Investoren anlegen, sondern schielen auf die Staatsanleihen, die die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihrer Anleihenkaufprogramme erworben hat. Papiere im Umfang von 250 Milliarden Euro lagern dort. Diese zu streichen, würde der EZB nicht schaden, denn es handelt sich ja um virtuelle Beträge, die die Zentralbanken durch eigene Geldschaffung quasi unbegrenzt ausgleichen könnte. Im Jahresabschluss würden sie aber auftauchen und so den Gewinn schmälern, den die EZB an alle Eurostaaten auszahlt. Hierbei geht es auch um eher kleine Summen (Gesamtgewinn 2017: 1,3 Milliarden Euro), deren Ausbleiben aber für großen politischen Ärger sorgen dürfte.
Ob die designierte Regierung darüber verhandeln will, ist unklar. Äußerungen aus ihren Kreisen deuten darauf hin, dass es Rom mehr um ein buchhalterisches Manöver geht: Die Papiere bei der EZB sollen nicht mehr in die Berechnung der Staatsschuld einfließen. Damit würde Italien vor Investoren und Ratingagenturen besser dastehen: Die Staatsverschuldung des südeuropäischen Landes summierte sich im März auf 2302 Milliarden Euro. Mit einer Schuldenquote von 131 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt lag das Land 2017 auf Platz 2 in der Eurozone hinter Griechenland. Dies sorgt derzeit aber für keine allzu großen Haushaltsprobleme in Rom, dank der Niedrigzinspolitik und der Anleihenkaufprogramme der EZB. Sollte die Regierung aber auf Konfrontationskurs gehen, würde die EU monetär am längeren Hebel setzen - auch ein Grund, warum Brüsseler Politiker trotz teilweise ruppiger Worte der künftigen Koalitionäre eher gelassen reagieren. Italien würde sich letztlich ins eigene Fleisch schneiden.
Das zeigte auch die jüngste Reaktion der Finanzmärkte. Nach Bekanntwerden der angeblichen Schuldenstreichungspläne stiegen die Renditen italienischer Staatspapiere spürbar an. An dieser Größe orientieren sich die Zinsen bei Emissionen neuer Anleihen, die alle paar Wochen stattfinden. Sollte die italienische Regierung tatsächlich einen Konfrontationskurs gegen die EZB fahren und letztere mit einer Weigerung reagieren, weiterhin italienische Papiere am Markt aufzukaufen, würden die Renditen ins Unermessliche steigen oder aber neue Staatsanleihen ließen sich nicht mehr komplett an den Investor bringen. Dann könnte die Regierung sogar in akute Finanznöte kommen.
Ohnehin liegt Italiens Problem nicht in den Staats-, sondern bei den Privatschulden. Die italienischen Geschäftsbanken schleppen nach wie vor einen riesigen Berg fauler Kredite mit sich. Eine Regierung, die Italien wirtschaftlich auf die Beine und die Finanzen in Ordnung bringen will, müsste sich zuerst diesem Problem zuwenden. Gerade Rechtspopulisten sind aber nicht bekannt dafür, wirtschaftspolitische Lösungskonzepte aufzubieten, die äußerst komplex sind sowie ökonomischen Sachverstand und einen langen Atem voraussetzen.
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