Eine mongolische Jurte im Garten
Barbara Thalheim fährt von Dijon in den Süden
Schon früh halten Touristenbusse mit Asiaten in der Nähe der Fußgängerzone. Dort sind die Läden, die das kulinarische »Wahrzeichen« der Stadt Dijon verkaufen, den Senf. Müssen die Ladenbesitzer, weil ihnen die Touristen zugeführt werden, vielleicht Provision an die Reiseunternehmen zahlen, frage ich mich. Oder gehören die Senfläden gar den Reisebüros? Hallo, will ich rufen, die verkaufen euch hier gerade etwas, das ihr überall auf der Welt erwerben könnt. Dijons Senf ist international bekannter als seine Weine.
Es ist 9 Uhr. Ich durchstreife die City nach Frühstücks-Croissants aus handgemachtem, nicht industriegefertigtem Teig. Ein gutes Croissant muss krack machen im Mund, es muss nahezu dunkelbraun, ein wenig fettig und warm sein. Ob sie in der Brasserie an der Place François-Rude selbst gemachte Croissants anbieten? Und ob!
Am Nebentisch sitzt ein stark parfümierter Herr mittleren Alters an seinem Laptop. Leere Kaffeetassen bilden einen Schutzwall um seine Wirkungsstätte. Zu ihm gesellt sich ein Bekannter. Während sie über Fußball streiten, saugt der Parfümierte - als wäre er ein Riesenoktopus im Zoo - hinter dicken Brillengläsern seinen Bildschirm ab. Ein Aktienspekulant. Das ganze Café muss sich jetzt anhören, dass er »reingeht«, wie viel er anlegt, dass er wieder »rausgeht«. Der Mann widert mich an, und ich überlege kurz, ob ich beim Aufstehen seine Brille vom Kopf wische, um dann »aus Versehen« draufzutreten.
Ich besuche Anne-Laure, die für deutsch-französische Städtepartnerschaften zuständige Bi-Langue-Frau in Dijon. Die burgundische Hauptstadt ist außerordentlich gastfreundlich und weiß gut mit ihrem Alter zu kokettieren. Der beliebte Bürgermeister François Rebsamen - während Hollandes Präsidentschaft kurz Minister in dessen Kabinett - lässt zum Beispiel innerstädtische Autoparkplätze verschwinden, um sie durch fantasievolle Menschen-Parkplätze zu ersetzen. Und die Dijoner danken es ihm.
Das Wetter lässt seit Tagen Novembergefühle aufkommen. Wir suchen Schutz im Musée des Beaux-Arts, einem der ältesten Museen Frankreichs. Weltweit bekannt sind drei Grabmäler, die von 82 Klagefiguren aus Alabaster, den Pleurants genannten Darstellungen trauernder Menschen, »geschultert« werden. Kein Gesichtsausdruck, keine Geste, keine Hand, kein ausgestreckter Finger, keine Falte in Haut und Kleidung der trauernden Figuren wiederholt sich auch nur ein einziges Mal. Sie sind um die ganze Welt gereist, diese nur etwa 40 Zentimeter großen Pleurants. Seit ungefähr 500 Jahren trauern sie um Philipp II., Johann Ohnefurcht und seine Frau, Margarete von Bayern.
Am 12. Mai nehme ich dann die »Autoroute du Soleil« Richtung Süden und verlasse Dijon über Nîmes, wo heute noch in den Arènes Maison Carrée Stierkämpfe vor Tausenden von Zuschauern ausgetragen, nein, ausgestochen werden. Ich wechsele aber bald auf die parallele »Nationale 7« (Fernstraße 7). Sie hat Geschichte geschrieben, als am 17. Juli 1936, dem französischen Nationalfeiertag, fast alle Pariser gleichzeitig auf dieser Straße ans Meer fuhren.
Im Juni jenes Jahres hatte die französische Regierung ein Gesetz verabschiedet, wonach jedem arbeitenden Franzosen (Französinnen natürlich auch) das Recht auf zwei Wochen bezahlten Urlaub im Jahr zustand. Bald kamen die »Goldgräber«, um sich entlang der Fernstraße 7 anzusiedeln. Es entstanden Hotels, Autowerkstätten, Bordelle, Märkte, Cafés, Restaurants, Spielhöllen und so weiter. Eine ganze Industrie, zum pekuniären Abschöpfen der feriengelaunten Franzosen. Charles Trenet besang es in seinem Lied »On est heureux Nationale 7«.
Als man aber ab 1974 auf die »Autoroute du Soleil« umsteigen konnte, die einen viel schneller an die Côte d’Azur brachte, machte die Nationalstraße schlapp. Sie hatte ihren Zweck erfüllt und präsentiert sich heute als »Région abandonnée« mit Schicksalen, die noch erzählt werden wollen.
Ich fahre nach Quissac zu dem Pianisten René Bottlang, mit dem ich 1994 eine sehr schöne Tournee mit Romantik-Liedern absolvierte. Nach sechs Stunden Autofahrt steht er vor mir, der asketische Mann. Wir versichern einander, dass wir uns kaum verändert hätten, und lachen gleichzeitig über das blöde Kompliment. Ich lerne seine Frau Solongo aus Ulan-Bator kennen, auch seine minderjährigen Töchter Zaïat, Amédi - und Tenger. Der Name der jungen Schamanin, die ihre Jurte im Garten aufgebaut hat, bedeutet Himmel. Auch Chogy, Dolmetscherin für Französisch-Mongolisch, jetzt in Paris lebend, ist zu Besuch.
Verdammt! Wo bin ich hier?
Wie kommen die Mongolen in dieses Dorf? Das erzähle ich Euch nächsten Sonnabend.
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