Werbung
  • Berlin
  • Karneval der Kulturen

Feiern, bis die Security kommt

Karneval der Kulturen zog Tausende Besucher in seinen Bann - Ärger hielt sich in Grenzen

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Karnevalsumzug führte dieses Jahr in die gegengesetzte Richtung - von der Yorckstraße Richtung Hermannplatz. Das war aber schon die Hauptmeldung im Bezug auf Änderungen beim Karneval der Kulturen, außer vielleicht, dass der Karneval dieses Jahr »erstmals unter der finanziellen Obhut des Senats durch die Straßen Berlins zieht«. Sonst blieb fast alles beim Alten: tanzen, tolle Kostüme anschauen, Freunde treffen und Caipirinha trinken.

Die Sambaschulen Sapucaiu no Samba und Amistad Salsera führten den Umzug an. Amistad Salsera mit dem Motto »Salsa first - sin fronteras« (Salsa zuerst - ohne Grenzen). Danach gleich zwei politische Projekte, eins gegen Wassermangel (Agua y Techno) und eins gegen die Verschmutzung der Meere durch Plastik (Was bewegt Dich).

Kurzzeitig musste der U-Bahnhof Mehringdamm am Sonntagnachmittag dann wegen Überfüllung geschlossen werden. Nachdem einzelne Besucher daraufhin die Absperrungen überklettert hatten, wurde er nach rund einer Stunde auf Anraten der Polizei wieder geöffnet. Selbst die Zugänge zum Umzug musste die Polizei stundenlang schließen, um eine Überfüllung zu vermeiden. Auch auf dem Straßenfest des Karnevals auf dem Blücherplatz waren Zugangskontrollen installiert worden. So mussten Besucher zum Teil Umwege in Kauf nehmen, um auf das Straßenfest zu gelangen.

Dort angekommen, ließen sie sich aber die Laune nicht verderben. Ganz im Gegenteil: Caipirinha, afrikanisches Bier und der klassische deutsche Bierpilz sorgten für reichlich Konsum und die entsprechende Stimmung. Der Grat zwischen Ausgelassenheit, Pöbelei oder sexualisierter Anmache war bisweilen sehr schmal. Zumindest für den Umzug teilte die Polizei mit, dass dieser »fröhlich, überwiegend friedlich & ohne größere Zwischenfälle« verlaufen sei.

Auf dem Straßenfest am Blücherplatz war es am späten Samstagabend zu einem versuchen Raubüberfall durch eine Gruppe junger Männer gekommen. Die Männer hatten ihr Opfer geschlagen und getreten. Doch der Versuch, ihm seinen Rucksack zu entreißen, misslang ihnen schließlich.

Ruth Hundsdoerfer, Pressesprecherin des Karnevals, versucht, das zu relativieren: »Das passiert, wenn viele Menschen auf einem Haufen sind. Die Polizei hat die Verdächtigen sofort festgenommen. Für Verunsicherung unter den Gewerbetreibenden hat dieser Vorfall nicht gesorgt«, sagte sie.

Immer wieder hatten Polizisten kleinere Auseinandersetzungen zu schlichten. Auf dem Fest patrouillierten mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten und Security-Mitarbeiter in gelben, durchnummerierten Signalwesten, leuchteten mit Taschenlampen hinter Büsche und versuchten, stark Betrunken nach Hause zu schicken. Am Sonntag nahmen Polizisten einen 29-Jährigen fest, als er versuchte, 100 mit Haschisch gefüllte Schokoladenkugeln im Bauchladen zu verkaufen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Rudow fanden sie eine Plantage mit 28 Cannabispflanzen. Die wurden beschlagnahmt, während der Mann wieder frei kam.

Die Kehrseite des Karnevals sorgt immer wieder für Kritik. So wird oft von einem »Multikulti-Ballermann« gesprochen. Ruth Hundsdoerfer findet, das sei Quatsch. Man versuche beispielsweise, auch politische oder soziale Projekte zur Teilnahme zu ermuntern. So habe es Upcycling-Projekte gegeben, und der Umsonstladen habe einen Stand gehabt. Kommerz sei nötig, denn der refinanziere den Umzug, so Hundsdoerfer. »Wir haben uns bemüht, das Thema Müll anzugehen und Palmblattgeschirr verwendet. Auch Foodsharing unterstütze man in diesem Jahr.« Das Verhältnis zu den Anwohnern sei aber immer wieder prekär, gibt sie zu. Der Umgang mit vielen Menschen im Ausnahmezustand und massig Alkohol sei »eine große Herausforderung«. Viele Anwohner würden wegen des Karnevals Berlin über Pfingsten verlassen, vermutet sie.

Aber auch für Besucher, die mit Saufen, Grölen und Rumgrapschen nichts am Hut haben, gibt es abends noch durchaus Nischen. Darunter die Heilig-Kreuz-Kirche. Am Samstagabend sorgte dort ein Klezmer-Tanzworkshop mit der Band »Tants in Gartn Eydn: Klezmerschwof« für gute Laune bei rund 50 spontanen Mittänzern. Auf der Wiese neben der Amerika-Gedenkbibliothek waren Kleinkünstler beim Jonglieren und beim Tanzen zu bestaunen. Ein Artist jonglierte drei Keulen, einen Ball und einen Reifen an Armen und Beinen, während er sein Fahrrad auf der Stirn balancierte. Ein anderer animierte ein gutes Dutzend Umstehende durch seine gekonnten Moves, die er zu einer Trommelgruppe präsentierte, zum Mittanzen.

Für einige ausländische Communities habe der Karneval eine wichtige Funktion, sagt Aissatou Binger, Kuratorin der Black Atlantica Bühne. Sie sei sicher, dass es sonst keinen Zeitpunkt in Berlin gebe, wo die afrikanische Community so umfassend zusammenkommt.

Ein wichtiger Termin ist der Karneval auch für die Flaschensammler. Sie wuchten gegen Ende des Festes Einkaufswagen voll leerer Flachen und Becher durch die Menschenmassen. Hier und da essen sie liegen gebliebene Teller ab - Foodsharing geht irgendwie anders.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!