• Berlin
  • Polizeigewalt gegen Geflüchtete

Jugendhilfe erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei

Interne Untersuchung nach mutmaßlicher Polizeigewalt bei Durchsuchung einer Geflüchteten-WG

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach Gewaltvorwürfen bei einem Polizeieinsatz in einer Jugendwohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete ermittelt das Berliner Landeskriminalamt gegen BeamtInnen aus den eigenen Reihen. Sprecher Thomas Neuendorf bestätigte auf Anfrage des »neuen deutschlands« einen Tweet der Pressestelle der Polizei. Auslöser der internen Ermittlung war demnach eine Stellungnahme des Trägers der Einrichtung, des Kinder- und Jugendhilfe-Verbundes Berlin/Brandenburg (KJHV), in dessen Einrichtung die Durchsuchung stattgefunden hatte.

Am frühen Morgen des 9. Mai stürmten demnach PolizistInnen die Jugendwohngruppe der KJHV in Lichtenberg, in der zum damaligen Zeitpunkt drei unbegleitete Geflüchtete lebten. Nach Angaben des Trägers der Einrichtung sollen die besagten »Sicherungseinheiten der Berliner Polizei« zunächst die Tür zur Wohnung eingetreten haben und in Abwesenheit der zuständigen Bezugsbetreuerin oder eines juristischen Beistands Zimmer der jungen Erwachsenen auf Grundlage eines Durchsuchungsbeschlusses »zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Geldbörse und eines Personalausweises« durchsucht haben.

Einer der Jugendlichen, für dessen Zimmer kein Durchsuchungsbeschluss vorgelegen habe, öffnete laut KJHV die Zimmertür. Er sei erschrocken und habe aus Angst seine Tür verschlossen. Wortlos hätten sich die PolizistInnen daraufhin Zugang zu seinem Zimmer verschafft, den Jugendlichen zu Boden geworfen, mit Schlagstöcken auf Rücken und Schultern eingeschlagen und ihm den Arm verrenkt. Anschließend sei er in den Flur geschleift worden. Dabei habe er Schmerzen und Hämatome davongetragen, die im Krankenhaus versorgt werden mussten. Er klage seither über Schlafstörungen und Angstzustände und könne nicht wieder in die Wohnung zurückkehren, heißt es. Auch habe er seit dem Vorfall den Glauben an die Polizei verloren, schreibt die KJHV. »15 Minuten Polizeigewalt haben somit zwei Jahre Jugendhilfe und therapeutische Arbeit zerstört«, heißt es weiter.

Einen weiteren Jugendlichen, für dessen Zimmer laut der Jugendhilfe ebenfalls kein Durchsuchungsbeschluss vorlag, rissen die BeamtInnen aus dem Bett und schleuderten ihn nach Schilderung der KJHV in einen danebenstehenden Schrank mit Glastür. Er erlitt Schnittwunden am Arm, die ebenfalls im Krankenhaus behandelt werden mussten. Anschließend habe er noch drei Nächte stationär betreut werden müssen.

Die Verantwortliche für die Arbeit mit Geflüchteten, Mareike Rüggeberg, sagte gegenüber »nd«, dass man derzeit rechtliche Schritte gegen die beteiligten BeamtInnen prüfe. »Es geht darum, auch in Zukunft gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Polizei zu gewährleisten«, so Rüggeberg. »Mein Eindruck war, das fing auch erst mal gut an, bis zu diesem Einsatz.«

Der Polizeisprecher wollte auf nd-Anfrage lediglich den stattgefundenen Einsatz bestätigen, an dem insgesamt 13 MitarbeiterInnen der Direktionen fünf und sechs beteiligt gewesen waren. Grund war demnach ein wegen Raubes verdächtiger Jugendlicher. Deshalb habe das Raubkommissariat mit Unterstützungskräften die Einrichtung durchsucht. Im Zuge der Durchsuchungen wurden Beweismittel sichergestellt, die nun ausgewertet werden, so Neuendorf weiter. Warum der Einsatz derart eskalierte, konnte der Sprecher nicht sagen, verwies jedoch darauf, dass der gesuchte 18-Jährige bereits wegen Gewaltdelikten - auch gegen BeamtInnen - polizeibekannt sei. Der ausgestellte Durchsuchungsbeschluss habe für die Wohn- und Aufenthaltsräume des Jugendlichen gegolten, sagte Neuendorf. Die internen Ermittlungen müssten nun zeigen, ob und inwiefern das Vorgehen und die Durchsuchungen der anderen Räumlichkeiten durch die Sicherungseinheiten der Berliner Polizei gerechtfertigt gewesen seien.

Die Jugendpolitische Sprecherin der LINKEN, Katrin Seidel, äußerte sich gegenüber »nd« bestürzt über den missratenen Polizeieinsatz. »Wir sind natürlich alle entsetzt und hoffen, dass es schnellstmöglich eine Klärung gibt«, sagte sie. »Ein solches Vorgehen, wie es in der Pressemitteilung des KJHV geschildert wird, ist völlig unangemessen. Das sind geschützte Einrichtungen, in die die Polizei nicht einzudringen hat.« Sie forderte eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls sowie Konsequenzen für das Vorgehen der eingesetzten BeamtInnen.

Via Twitter äußerte sich Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) ähnlich bestürzt: »Das ist nicht der erste Vorfall und die Senatsjugendverwaltung hat uns gesagt, dass sie dies klar und deutlich mit der Polizei geklärt hätte - kein Polizeieinsatz in Jugendhilfeeinrichtungen, Kitas und Schulen.«

Die Berliner Polizei reagierte auf den Tweet der Bezirksbürgermeisterin und Jugendstadträtin mit Unverständnis. »Keine Absprache kann die Strafprozessordnung außer Kraft setzten«, erklärte Sprecher Neuendorf gegenüber »nd«.

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