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Amerikanische Zustände im Osten
Eine aktuelle Studie zeigt, wie sich die Armut in ehemaligen DDR-Neubauvierteln konzentriert
Die soziale Spaltung der Bundesrepublik verändert das Gesicht der Städte. Insbesondere in Ostdeutschland hat sich in den vergangenen Jahren eine Ghettobildung vollzogen, die Arme und Reiche auch räumlich voneinander trennt, wie eine aktuelle Studie belegt. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hatte für seine Untersuchung die Daten von 74 deutschen Städten ausgewertet. Demnach habe sich seit 2005 in 80 Prozent der Städte »die räumliche Ballung von Menschen, die Grundsicherung nach SGB II beziehen, zugenommen«. Am stärksten dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern und viele arme Menschen lebten.
Die Berechnung erfolgte über den sogenannten Segregationsindex. Dieser gibt an, wie viel Prozent der Hartz-IV-Bezieher eigentlich in einem anderen Viertel wohnen müssten, um gleichmäßig über die Stadt verteilt zu leben. In vielen Städten betreffe das zwischen 35 und 40 Prozent der Leistungsbezieher. Zwischen 2005 und 2014 hat demnach die soziale Segregation von Kindern in den meisten Städten zugenommen, am deutlichsten in den ostdeutschen Städten.
Den höchsten Anstieg verzeichneten dabei Rostock, Schwerin, Potsdam und Erfurt. Diese Städte verfügen über große, zu DDR-Zeiten entstandene Neubauviertel, die oft an den Stadträndern errichtet wurden. In Rostock lebten zur Wendezeit rund 70 Prozent der Einwohner in solchen Großsiedlungen, in Schwerin immerhin noch 57 Prozent. Viele der einstmals beliebten Plattenbauquartiere seien nach der Wende zu Brennpunkten geworden, an denen sich »sozial benachteiligte Kinder in einem Ausmaß ballen, wie wir es eigentlich nur aus den USA kennen«, schreiben die Autoren der Studie, Marcel Helbig und Stefanie Jähnen. Zumindest in den Siedlungen, die in den 80er Jahren hochgezogen wurden. Die älteren DDR-Neubaugebiete aus den 60ern und 70ern seien heute »sozial günstiger zusammengesetzt« als die jüngeren. Viele Bewohner blieben diesen Vierteln treu. Zum einen, weil sie zur Wende schon etwas älter waren, zum anderen, weil Bausubstanz und Wohnumfeld besser waren als in jenen Siedlungen, die in der Spätphase der DDR eiligst hochgezogen wurden.
Die zunehmende Spaltung ist aber kein Erbe der DDR. Im Gegenteil: »Die sozialräumliche Ungleichheit der ›sozialistischen Stadt‹ war im Vergleich mit dem kapitalistischen Nachbarn gering ausgeprägt«, heißt es in der Studie. Schließlich wollte man in der DDR »die Differenzen zwischen Klassen und Schichten überwinden«.
Die Marktwirtschaft setzt da ganz andere Prämissen. »Während es zu Anfang der 1990er Jahre nur eine sehr geringe soziale Segregation in den ostdeutschen Städten gab (...), so liegt sie heute in den meisten Fällen deutlich über dem Niveau der westdeutschen Städte«, betonen die Autoren, die diese Entwicklung als »historisch beispiellos« bezeichnen.
Nach der Wende zogen viele Familien mit Kindern aus den Großsiedlungen ins Umland, während sich Arbeitslose und soziale Benachteiligte dort sammelten. Diese Entwicklung war Folge politischer Weichenstellungen. Da der Staat bei Hartz-IV-Beziehern die Wohnkosten nur bis zu einer bestimmten Preisgrenze übernehme, so die beiden Wissenschaftler, greife er so »in den Wohnungsmarkt der Städte ein und wird ein wichtiger Akteur bei der Erzeugung sozialer Segregation«. Die Autoren gehen davon aus, dass sich mit den Hartz-IV-Reformen »die soziale Lage in den ostdeutschen Plattenbauten seit 2005 weiter zugespitzt hat«.
Dabei warnen Sozialwissenschaftler seit langem vor negativen »Nachbarschaftseffekten«, wenn Arme und Abgehängte unter sich bleiben. So fehle es »an positiven Rollenvorbildern insbesondere für Kinder und Jugendliche«. Auch wirke sich das negative Image eines Quartiers nach innen und außen, »so dass es zum Ort der Stigmatisierung und Diskriminierung wird«, unterstreicht das Autorenduo. In 36 der untersuchten Städte gibt es mittlerweile Quartiere, in denen mehr als die Hälfte aller Kinder von Hartz-IV-Leistungen leben. »Diese Entwicklung kann sich negativ auf die Lebenschancen armer Kinder auswirken«, unterstreicht WZB-Forscherin Jähnen.
Da sich Sozialwohnungen in den Gebieten konzentrieren, wo ohnehin schon die meisten Armen wohnen, sind sie kein Garant für eine gute soziale Durchmischung. »Das bedeutet aber nicht, dass der soziale Wohnungsbau die soziale Segregation nicht wirkungsvoll eindämmen kann«, unterstreichen die Autoren und empfehlen, die sozialen Wohnungsbau auf das gesamte Stadtgebiet auszuweiten.
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