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Wer war der bessere Genosse?
In Trier treffen Karl Marx und Friedrich Wilhelm Raiffeisen als »Gespenster« aufeinander
Karl Marx und Friedrich Wilhelm Raiffeisen - beide sind 1818 geboren, beide setzten sich für die Arbeiterbewegung ein. Wer war der bessere Genosse? Diese Frage stellt ein amüsantes Programm zum 200. Marx-Geburtstag in Trier. Dabei treffen der Vordenker des Kommunismus und der Vater des Genossenschaftssystems, die sich zu Lebzeiten niemals persönlich kennenlernten, als »Gespenster« aufeinander.
Marx stand zusammen mit seinem Mäzen Friedrich Engels Sozialreformen, die Reformer wie Raiffeisen vorantrieben, kritisch gegenüber. Er ging davon aus, dass die Arbeiterschaft revoltieren und den Kapitalismus überwinden würde, wenn irgendwann das Fass überliefe. Sie sahen nicht voraus, dass der Kapitalismus reformfähig, eine soziale Marktwirtschaft entstehen und die Weltrevolution ausbleiben würde.
Das von der Tourismus und Marketing GmbH für die Volksbank Trier entwickelte Programm mit Marx und Raiffeisen ist eines von über 300 Veranstaltungen im Jubiläumsjahr. »Die Menschen diskutieren jetzt über Marx und seine Ideen«, sagt Alfons Jochem, Vorstandsmitglied der Volksbank. Dagegen steht Genossenschaftsbanker Jochem dem derzeitigen Marketing-Hype, angesichts dessen sich Karl Marx vielleicht im Grabe umgedreht hätte, skeptisch gegenüber: »Bisweilen bin ich davon schon genervt.« Zu kaufen gibt es im Jubiläumsjahr alle nur denkbaren Andenken - von der Kaffeetasse mit dem Konterfei des bärtigen Ökonomen und Philosophen bis hin zum Magneten.
Ein Stand bietet ein »Proletarier-Frühstück«, ein Bäcker ein »Marx-Brot« oder ein Restaurant ein »Marx-Schnitzel« feil. Das »Weinhaus« gleich gegenüber des Geburtshauses von Karl Marx offeriert einen 2016er Riesling mit dem Etikett »Das Kapital« - zum stolzen Preis von 16,80 Euro.
An der Fußgängerampel an der Kreuzung davor leuchtet ein Marx-Ampelmännchen mal Rot, mal Grün. Begehrtestes Souvenir beim Stadtmarketing ist ein blau-lila Null-Euro-Geldschein zum Preis von drei Euro. Auf der Vorderseite ist das Konterfei mit dem Rauschebart, auf der Rückseite die Porta Nigra zu sehen. Die ersten beiden Auflagen von insgesamt 25 000 Stück waren im Nu vergriffen. Jetzt ist die dritte Charge im Druck: mit einer Auflage von 50 000.
Umstritten bleibt in Trier ein überlebensgroßer Bronze-Marx gleich neben dem römischen Stadttor Porta Nigra, die neueste Touristenattraktion der Moselstadt. Gegen seine Enthüllung an Marx‘ Geburtstag am 5. Mai demonstrierten nicht nur Anhänger der rechtspopulistischen AfD und der in China verfolgten Falun-Gong-Bewegung. Für die Annahme des chinesischen Geschenks hat die Stadt Trier unter anderem auch Kritik vom Schriftstellerverband PEN-Zentrum geerntet. Und LINKEN-Politiker Gregor Gysi meinte: »War das wirklich nötig? Hätten wir das nicht selber in Auftrag geben können?«
Derzeit wird über den Text für eine Gedenktafel gestritten, die in der Nähe der Statue angebracht werden soll. Die AfD will, dass die Opferverbände beteiligt werden. Die anderen Fraktionen im Trier Stadtrat lehnten jetzt einen AfD-Antrag als zu »einseitig und populistisch« ab.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert sei China das weltweit mächtigste noch bestehende Regime, das unter Berufung auf Marx‘ Theorie ein totalitäres Regime errichtet hat und im Namen des Kommunismus die Menschenrechte mit Füßen tritt. Das widerspreche den Ansichten von Karl Marx fundamental, meinen Kritiker.
Um über Marx, seine Zeit und seine Bedeutung für die Zukunft zu diskutieren, bleibt bis zum 21. Oktober noch reichlich Zeit. Dann schließen zeitgleich die drei großen Ausstellungen zum 200. Marx-Geburtstag. Weiter zu sehen sein wird die am 5. Mai eröffnete Dauerausstellung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung im Haus an der Brückenstraße, in dem Karl Marx geboren wurde.
Für die SPD bietet der runde Geburtstag von Karl Marx reichlich Anlass dafür, über ihr eigenes Selbstverständnis nachzudenken. SPD-Vorsitzende Andrea Nahles wies bei der Wiedereröffnung der Ausstellung daraufhin, wie stark die deutsche Sozialdemokratie von Marx geprägt wurde. Die deutsche SPD sei aber längst keine »Weltanschauungspartei« mehr. »Soziale Aufgabe« bleibe es, die Zukunft für die Menschen zu gestalten. Der heutige »Digitalkapitalismus« stelle die Politik vor ähnliche Herausforderungen wie zu Zeiten der ersten Industriellen Revolution.
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