Rechtswidrig, aber straffrei

Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Menschenrecht - durch den Paragraf 218 wird dies in Deutschland jedoch erschwert

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 4 Min.

Warum demonstriert das What-The- Fuck-Bündnis an diesem Montag?

Wir als Bündnis sind zwar generell erfreut über die Debatte rund um den Paragraf 219a - also das Informationsverbot zu Schwangerschaftsabbrüchen, die durch die Anklage der Frauenärztin Kristina Hänel entstanden ist. Gleichzeitig sehen wir aber, dass das eigentliche Problem immer noch die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, also der Paragraf 218.

Waht The Fuck

Das queerfeministische und antifaschistische What-The-Fuck-Bündnis gründete sich vor zehn Jahren rund um die Organisation des Gegenprotestes zum jährlichen »Marsch für das Leben« von Abtreibungsgegnern. Inzwischen arbeitet das Bündnis das ganze Jahr über zum Thema reproduktive Rechte, wie zu sexueller Selbstbestimmung oder dem Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Mit Sarah Bach, Sprecherin des Bündnisses, sprach Samuela Nickel.

Warum gerade heute?

Der 28. Mai ist das Datum, an dem sich das letzte Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Paragrafen 218 zum 25. Mal jährt. Damals musste das Gericht noch einmal darüber entscheiden und hat diese merkwürdige Konstruktion mit der Rechtswidrigkeit erfunden.

Inwiefern merkwürdig?

Die rechtliche Konstruktion ist im Augenblick so, dass für die ersten zwölf Schwangerschaftswochen Abbrüche laut Strafgesetzbuch strafbar sind - aber der Straftatbestand unter bestimmten Voraussetzungen nicht eintritt. Das heißt, die Abbrüche bleiben somit im Prinzip rechtswidrig. Das führt dazu, dass Krankenkassen gesetzlich nicht verpflichtet sind, die Kosten von Schwangerschaftsabbrüchen - eben jene der Fristenlösung - zu erstatten. Diese sind nicht im Regelbestand der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen und werden nur erstattet, wenn das Nettoeinkommen der betroffenen Person unter 1001 Euro liegen.

Warum ist die Abschaffung des Paragrafen 219a nicht ausreichend?

Der Paragraf 219a nennt sich »Werbeverbot«, ist aber eigentlich ein Informationsverbot zum Schwangerschaftsabbruch als ärztliche Dienstleistung. Das heißt, wenn er wegfiele, würde zumindest die Möglichkeit bestehen, sich darüber zu informieren, welche Ärztin überhaupt einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt. Ärzt*innen selbst dürfen es nicht auflisten, denn nach der derzeitigen Rechtslage besteht die Gefahr, dass sie angeklagt werden. Wenn der Paragraf 219a abgeschafft würde, dann wäre schon mal ein erster Schritt getan. Aber das eigentliche Problem, nämlich die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, bleibt. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat in den letzten Wochen auf sich aufmerksam gemacht, weil er sogar gegen die Abschaffung des Paragrafen 219a mobil macht.

Was würde sich mit der Abschaffung des Paragrafen 218 ändern?

Das Wichtigste wäre sicherlich die Krankenkassenerstattung. Im Augenblick können Schwangere, die einen Abbruch vornehmen lassen, einen Erstattungsantrag an das Bundesland stellen. Die meisten aber müssen die Kosten für den Schwangerschaftsabbruch selbst tragen und das sind in der Regel 300 bis 800 Euro. Hinzu kommt, dass aufgrund der jetzigen rechtlichen Regelung der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht als ärztliche Dienstleistung gesehen wird, sondern Ärzt*innen immer noch nach ihrem eigenen Gewissen darüber entscheiden können, ob sie einen Abbruch vornehmen wollen oder nicht. Das führt dazu, dass die Versorgung von Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, zunehmend schlechter wird. Zudem ist es kein Wissen, das selbstverständlich im Lehrplan der Medizinstudent*innen angeboten wird. Es gibt also einen ganzen Rattenschwanz, der an dieser rechtlichen Regelung hängt und der den Zugang zum reproduktiven Recht erschwert. Es ist ein etabliertes Menschenrecht, was aber in Deutschland nicht als solches behandelt wird.

In der DDR war die Fristenregelung, also der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen seit 1972 legal. Seht Ihr jetzt die jetzige Rechtslage als Rückschritt?

Auf jeden Fall. Schon in der Präambel des damaligen DDR-Gesetzes ging es um eine eigenverantwortliche Entscheidung der Schwangeren. Der Arzt oder die Ärztin, die den Abbruch durchgeführt hat, musste davor natürlich aufklären, wie bei jedem Eingriff. Es gab aber keine Zwangsberatung.

Am Freitag stimmte die Bevölkerung in Irland für die Lockerung des strikten Abtreibungsgesetzes. An der Kundgebung für die Abschaffung des Paragrafen 218 beteiligt sich auch die Organisation »Berlin Ireland Pro Choice Solidarity«. Welche Bedeutung hat diese Solidarität über Grenzen hinweg?

Es werden auch »Ciocia Basia«, eine polnische Aktivist*innengruppe, einen Redebeitrag halten. Wir beobachten mit Sorge, dass der Rechtsdruck in europäischen Nachbarländern dazu geführt hat, das die sowieso schon sehr prekäre Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen durch rechtspopulistische Bewegungen und eben auch rechte Regierungsparteien noch stärker angegriffen wird. Deshalb halten wir internationale Vernetzung für absolut notwendig und bauen unsere Netzwerke immer weiter aus, um diesen Bewegungen etwas entgegenzusetzen können.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.