Sie haben es vermasselt
Die verquere Sicht des Claus Koch, ein Kind der 68er Revolte
Alle zehn Jahre wiederholt sich der Hype - und es wird nicht besser. Ehemalige Akteure der Studentenbewegung in Westdeutschland glorifizieren sich selbst - und sie können es sich leisten, sitzen sie doch heute vielfach in wichtigen Positionen an Hochschulen, in Politik und Wirtschaft oder beziehen eine gute Rente.
Claus Koch, Jahrgang 1950, gelernter Philosoph und Psychologe (mit Schwerpunkt auf pubertierende Jugendliche) versucht, gemäß dem Titel seines Buches drei Generationen um die 68er herum zu beschreiben. Die Kriegsgeneration, die schwieg, die Aktivisten, die scheinbar die (westdeutsche) Gesellschaft revolutionierten, und die Nach-68er, die nix auf die Reihe bekommen. Mit psychologischer Einfühlsamkeit versucht der Autor, der vor 50 Jahren selbst noch Teenager war, den Kinderschuhen gerade erst entschlüpft, einiges zu verstehen. Aber es gelingt ihm nicht so recht. Das Buch ist gut geschrieben, keine Frage, aber ich stolpere permanent über Sätze, die mich dazu bringen es aus der Hand zu legen.
Koch gehört zu jenen, die sich gerne als Opfer einer Zeit darstellen, in denen ihr «neues Lebensgefühl» auf dem «Altar des Marxismus-Leninismus» geopfert wurde. Beim Buchautor ist dies dessen kurze «politische Karriere» in einer maoistischen Sekte bis Ende der 1970er Jahre. Zugleich unterstellt er den Nach-68ern, keine Ideologie bzw. keinen Weitblick und keine Fähigkeit zur Utopie zu besitzen.
Nervend sind vor allem Kochs stellenweise Vergleiche der DDR mit Nazi-Deutschland. Sicherlich war die DDR für die Kader der Maoisten und Trotzkisten nicht die Alternative zur Bundesrepublik. Doch während in Westdeutschland Politik, Justiz, Schulen und Arztpraxen lange von Nazis durchsetzt waren, hat der ostdeutsche Staat jene zum Teufel gejagt. Das kann Koch mit hämischen Bemerkungen wie etwa über «preußisch im Stechschritt aufmarschierende Soldaten» der NVA, die ihn an Aufmärsche von SS und Wehrmacht erinnern, nicht widerlegen. Und dreist gibt er kund, DDR-Grenzpolizisten wären ihm als «Wiedergänger des »Dritten Reichs« erschienen.
Die Liberalisierung der westdeutschen Gesellschaft Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahren, einschließlich der sogenannten Sexuellen Revolution, mag sich durchaus der »kleinen radikalen Minderheit« studentischer Aktivisten verdanken, wurde aber rasch von der Mode- und Werbebranche vereinnahmt. Die Frauenemanzipation blieb stecken, der Kampf zur vollständigen Abschaffung des Paragrafen 218 ist noch nicht beendet, ganz zu schweigen vom gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Als »Siege« seines maoistischen, internationalen Kampfes sieht Koch die Solidarität mit den Befreiungskämpfen in der »Dritten Welt« (diesen abschätzigen Begriff benutzt er tatsächlich, obwohl man gerade in jener Zeit, über die er schreibt, vom »Trikont« sprach). Dazu gehört für ihn auch der natürlich wichtige Kampf gegen das Apartheidsystem in Südafrika und das Ende europäischer faschistischer Regime in Griechenland, Portugal und Spanien.
Die »ideologiefreien« Nach-68er hätten dergleichen Kämpfe nicht durchgestanden. Was für eine Ohrfeige für alle Menschen, die sich später politisch engagierten - und ebenfalls keine einfachen Kämpfe ausfochten. Das ist die Arroganz jener 68er, die sich im Rückblick noch heute gern als Avantgarde darstellen. Diese Selbstherrlichkeit bei gleichzeitigem Gejammere über die unpolitische Jugend heute geht mir, der nur vier Jahre jünger ist als der Autor, mächtig auf die Nerven. Wie wird es wohl gar jenen bei der Lektüre dieses Buches gehen, die Jahre oder Jahrzehnte nach 1968 geboren wurden?
Als letztes Wort sei hier bezüglich 1968 wider dem Zeitgeist gesagt: Es gibt nichts zu feiern - der Sekt kann zurück in den Kühlschrank!
Claus Koch: 1968. Drei Generationen - eine Geschichte. Gütersloher Verlagshaus, 285 S., geb., 22 €.
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