Furcht vor der Politisierung

Streit um den Austragungsort des Eurovision Song Contests 2019 in Israel

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Sieg Israels beim Eurovision Song Contest möchte Israels Regierung den Wettbewerb gerne in Jerusalem ausgerichtet sehen. Doch die Europäische Fernsehunion fürchtet eine Politisierung des Wettbewerbs; schon jetzt gibt es Boykottaufrufe.

Es war nur ein kurzer Tweet, abgesetzt vom offiziellen Account des Eurovision Song Contests (ESC): Fans sollten noch damit warten, Flüge und Hotels zu buchen. Normalerweise würde dies nur im recht kleinen Kreis jener ESC-Ultras für Aufsehen sorgen, die Jahr für Jahr mehrere Tausend Euro in ihre persönliche Anwesenheit investieren.

Doch dieses Mal zog die Nachricht politische Kreise. Denn nachdem die israelische Sängerin Netta Barzilai den ESC gewonnen hatte, wird dieser 2019 in Israel stattfinden. Und die hiesige Regierung möchte gerne ein gehaltvolles Wort mitreden. Immer wieder mischen sich Minister in die Vorbereitungen ein, stellen Forderungen auf. So teilte Regierungschef Benjamin Netanjahu schon wenige Minuten nach dem Sieg Barzilais über Twitter mit, der ESC werde in »Jerusalem, der Hauptstadt Israels« stattfinden.

Und sorgte damit bei der European Broadcasting Union (EBU), einem Senderverbund, der den ESC seit den 1950er Jahren organisiert, für Unmut. Zwar fand der ESC schon zwei Mal, 1979 und 1999, problemlos in Jerusalem statt. Aber damals reichte das 3100 Personen fassende Kongresszentrum im Stadtzentrum West-Jerusalems aus. Heute ist daraus aber eine millionenteure Veranstaltung mit umfangreicher Bühnentechnik und mehr als 10 000 Zuschauern vor Ort geworden. Und dafür gibt es in Jerusalem nur zwei in Frage kommende, weit vom Zentrum entfernt liegende, Arenen. In Jerusalem ruht von Freitagabend bis Samstagabend der öffentliche Nahverkehr komplett. Und die Generalprobe, bei der die Jurys entscheiden, findet Freitagabend statt; die Hauptsendung beginnt Samstag um 22 Uhr Ortszeit. Es müsste also am Samstag gearbeitet werden, Busse müssten fahren. Doch die beiden an der Regierung beteiligten ultraorthodoxen Parteien wollen das keinesfalls dulden. Das sehr viel liberalere Tel Aviv, ohnehin Favorit der Fans, läge daher sehr viel näher. Nur: »Entweder der ESC findet in Jerusalem oder gar nicht in Israel statt«, schrieb Kulturministerin Miri Regev auf Facebook.

»Wann, wo und mit welchen Teilnehmern der ESC ausgetragen wird, entscheidet allein die EBU in Zusammenarbeit mit den beteiligten Sendern,«, sagt ein Mitarbeiter der EBU, der namentlich nicht genannt werden will. Zu frisch sei die Erinnerung an den ESC in der Ukraine. 2017 hatte die dortige Regierung der russischen Sängerin Julia Samoylowa die Einreise verweigert, weil diese zuvor auf der Krim aufgetreten war.

Und dieses Mal kommt der Druck aus allen Richtungen: »Das Problem ist die Definition von Jerusalem,« heißt es beim französischen Sender TF1. »Anders als 1979 und 1999 versucht die israelische Regierung, auch Ost-Jerusalem als Teil Israels darzustellen.«

Darüber hinaus gibt es in einigen Ländern auch Forderungen, den ESC wegen der israelischen Militäreinsätze im Gazastreifen insgesamt zu boykottieren. In mehreren Ländern wurden Petitionen gestartet, in Island und Irland sprachen sich auch Sender-Mitarbeiter für einen Boykott aus. Zwar betonen alle Sender, dass man solchen Aufrufen nicht nachgeben werde. Doch bei einem Treffen mit Vertretern des öffentlich-rechtlichen israelischen Senders Kaan habe die EBU deutlich gemacht, dass man keine politische Einflussnahme oder Instrumentalisierung dulden werde, berichtete die Zeitung Ma‘ariv. Sollten die Rahmenbedingungen nicht stimmen, werde man den Wettbewerb 2019 anderswo ausrichten.

Denn zudem gibt es wie in der Ukraine auch in Israel ein Gesetz, das Einreiseverbote wegen politisch missliebiger Handlungen erlaubt: Personen, die einen Boykott Israels unterstützen, darf die Einreise verweigert werden. Die einzelnen Sender sollten ihre Künstler »mit Bedacht auswählen, um Probleme zu vermeiden«, sagte Kommunikationsminister Ajub Kara kurz nach dem ESC.

Zudem werde die Regierung auch keine Teilnahme Palästinas am ESC erlauben. Nur: Auch darauf hat Israels Regierung keinen Einfluss. Zwar könnte Palästina Mitglied der EBU werden, und am ESC teilnehmen, seitdem man 2013 von der UNO zum Nichtmitgliedsstaat heraufgestuft wurde. Zu den EBU-Mitgliedsstaaten zählen schon jetzt auch Ägypten, Libyen und Jordanien. Doch der palästinensische Sender PBC hat bislang noch keinen einen Aufnahmeantrag gestellt.

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