Frauen müssen geil sein
Weniger Noten am Stück spielen, diese dafür aber länger: Die Essener Band International Music
Die wichtigsten Stichworte vorab: Feedback, Wall Of Sound, die Entdeckung der Langsamkeit und die Schönheit der Einfachheit. Zwei Akkorde sind besser als drei. Ein liebevoll platziertes Verstärkerbrummen an der richtigen Stelle kann befreiender sein als das leise Zischen beim Öffnen einer Bierflasche. Und wer vom Geist der totalen Simplifizierung nicht sprechen will, soll auch vom Prinzip der ewigen Wiederholung schweigen. Die heilige Dreieinigkeit ruft zur Kommunion: Spacemen 3, Velvet Underground, The Jesus And Mary Chain. Also: Besser weniger Noten am Stück spielen, diese dafür aber intensiver und länger. Stagnation, Verlangsamung, Beschleunigung, Stagnation und immer so weiter. Wo die Reduktion am Werk ist, entfaltet das noch Verbliebene zuweilen eine erstaunliche Wirkung.
Das Essener Trio International Music hat all das verstanden. Es scheint wenigstens so. Zumindest ist der Eröffnungstrack seines über weite Strecken angenehm scheppernden und dengelnden Debütalbums die reinste Spacemen-3-Hommage.
Nun könnte man sagen: Eine Musik, zu der man sich ganz hervorragend stundenlang auf die eigenen Schuhspitzen starren kann und ebenso welt- wie selbstvergessen den eigenen Körper ganz den Schwingungen der bewusstseinserweiternden Gitarren-Arpeggios anheimgeben kann, muss nicht zwingend auch berauschende Texte zu bieten haben.
Aber auch, was Gegenwartslyrik angeht, enttäuscht uns die Gruppe nicht: »Der Rektor ruft / Ich geh ans Telefon / Was hat der Rektor mir denn schon zu sagen? / Ich geh nicht in die Schule / Ich geh nicht in die Schule.« Recht hat es, das lyrische Ich. Angenehm unverkitscht, unpeinlich und halbernst kommt auch der Rest der Texte daher.
Und könnte man die Infantilisierung, Verrohung und Verblödung des Menschen im Kapitalismus, die logischerweise Hand in Hand geht mit seiner sprachlichen Regression, besser aufzeigen als durch die endlose Variation und Wiederholung all der per Reklame und Medien permanent in die Atmosphäre geblasenen Mantras unseres Dummbeuteljahrhunderts: »Frauen müssen geil sein / Männer müssen cool sein / Jobs müssen Geld bringen / Männer müssen geil sein / Jobs müssen cool sein / Frauen müssen Geld bringen / Jobs müssen geil sein / Frauen müssen cool sein / Männer müssen Geld bringen.«
Auch bei Gesprächen mit Journalisten scheinen die drei Musiker ein gutes Händchen dabei zu haben, schöne Sätze herauszuhauen (»Wird etwas zu konkret, versuchen wir, es wieder diffus zu machen«).
Für die Band International Music gab es in den letzten Wochen nur Lob: Bei »Spiegel Online« schwärmt man von der »betörend repetitiven Musik zwischen Psychedelic und Kraut«, die »Süddeutsche Zeitung« will »das vielleicht beste deutschsprachige Debüt des Jahres« gehört haben und ruft vorsorglich schon mal die Geburt der deutschen Popnation aus (»der deutsche Pop ist auferstanden aus Ruinen«), der Bayrische Rundfunk spricht vom »bisher besten deutschen Doppelalbum des Jahres«, die »Spex« meint, es handle sich hier um »ein eindrückliches Debüt«. Und auch der »Taz« ist etwas aufgefallen, wenn die Zeitung das freilich auch nur in dem ihr bisweilen eigenen verschwurbelten Stadtentwicklungsprojekts-, Nachhaltigkeits- und Deppensoziologendeutsch mitteilen kann: Die Band International Music, so heißt es dort, habe »einen Möglichkeitsraum eröffnet, den die deutsche Musik sehr selten findet«, und mit ihrem Debütalbum eine »Sternstunde heimischer Musik« geliefert.
Auch die Livedarbietungen des Trios scheinen überzeugend auszufallen: »Ein paar abgeklärte Schluffis demonstrieren, wie man sich nicht vor oder nach, sondern während eines Songs Zeit nimmt« (»Junge Welt«).
Hmm, irgendetwas an dieser Band muss faul sein, wenn ausnahmslos alle sie loben, aber ich bin bis jetzt noch nicht dahintergekommen, was.
International Music: »Die besten Jahre« (Staatsakt/Caroline International)
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