Klub der Zerstrittenen
Die G7-Gruppe ist ein politischer Anachronismus
Kanadas Premierminister Justin Trudeau und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben sich am Vorabend des G7-Gipfels nachdrücklich für einen »starken, verantwortlichen, transparenten Multilateralismus« ausgesprochen. Die Gegenstimme kam aus Washington: »Das Welthandelssystem ist kaputt«, und die USA seien »mehr an nationale Interessen gebunden als an alles andere«, so Larry Kudlow, Wirtschaftsberater von US-Präsident Donald Trump. Dieser Widerspruch dürfte das 1975 auf Initiative von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt gründete Forum führender Wirtschaftsmächte zur Bewältigung globaler Probleme bei Berufung auf gemeinsame Werte wohl wie noch nie überschatten. Schon ist mit Blick auf die USA von G7 minus oder G6 plus 1 die Rede. Selbst eine Schlusserklärung könnte schwierig werden, ist doch vielleicht der bevorstehende Atomgipfel Trumps mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un das einzige Thema, bei dem der US-Präsident Rückendeckung erhält.
Trumps jüngste Strafzölle auf Aluminium und Stahl aus Europa und Kanada haben wie zuvor der angekündigte US-Rückzug aus dem Pariser Klimaschutzabkommen oder die Aufkündigung des Atom-Deals mit Iran einen tiefen Keil in den informellen Staatenverbund getrieben. Schon der Vorjahresgipfel war mehr eine Dissens- als Konsensveranstaltung. Trumps grundsätzliche Geringschätzung multilateraler Institutionen beschädigt also auch die G7, die sich gern als weltweiter Wegweiser gebärden - ohne verbindliche Beschlüsse zu fassen. Doch litten sie bereits vor Trump an Bedeutungsverlust. Mit dem Rausschmiss Russlands etwa nahm man sich eine wichtige Dialogmöglichkeit bei der Lösungssuche für viele Konflikte. Und mehr noch ist das Fehlen Chinas anachronistisch, der gemessen am Bruttoinlandsprodukt zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Präsentierten die G7 Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, USA und seit 1976 auch Kanada einst 70 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, ist es heute nicht einmal die Hälfte. Im Gegenzug gewinnt die G20-Gruppe, zu der nicht nur China und Russland, sondern auch wichtige Schwellenländer wie Indien, Südkorea, Brasilien oder Mexiko gehören, an Bedeutung.
Eines wird es in Québec mit Sicherheit geben: Proteste der Zivilgesellschaft gegen die G7. Ob Frieden, Klimaschutz, Entwicklung und Gesundheit, Frauenrechte: Für den Gipfel der angeblich wichtigsten Industriestaaten sehen Entwicklungsorganisationen sehr großen Aufholbedarf.
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