Viel Konfliktstoff in der Idylle

Gastgeber Trudeau muss beim G7-Gipfel in Kanada schwierige Gespräche moderieren

  • Luise Wagner, Vancouver
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Wirtschaftsgipfel der sieben führenden Industrienationen wird traditionell in beschaulicher Lage auf dem Land veranstaltet. Diesmal geht es in das pittoreske La Malbaie am St. Lawrence River in der ostkanadischen Provinz Québec - weit genug entfernt von den Städten Montreal und Québec, wo sich Demonstranten zu Protesten versammeln. Die Regierung macht für das zweitägige Treffen fast 600 Millionen Dollar locker - davon verschlingen allein die Ausgaben für Polizei und Sicherheitskräfte 300 Millionen. Es ist bereits der sechste G7-Gipfel in Kanada. Doch dieser wird alles andere als eine beschauliche Begegnung - selten waren die Beziehungen der Gastgeber zum mächtigen Nachbarn USA so angespannt wie heute. Der schwelende weltweite Handelskrieg, entfacht durch Protektionismus und Störmanöver der Trump-Regierung, wird auf dem Gipfel nicht wegzureden sein. Anders als Deutschland haben die USA mit Kanada aber eine positive Handelsbilanz.

Beide Staaten benehmen sich derzeit wie verzankte Nachbarn, die voneinander abhängig sind, aber nicht mehr miteinander reden wollen. Noch vor wenigen Tagen feuerte US-Präsident Donald Trump den Handelsstreit weiter an. Neben der EU und Mexiko wurde auch Kanada mit einer Erhöhung von Einfuhrzöllen für Aluminium (25 Prozent) und Stahl (zehn Prozent) belegt. Ein harter Schlag gegen ein Land, das von seinen Ressourcen zehrt und dessen wichtigster Handelspartner die USA sind. 73 Prozent der Exporte werden über die Nachbargrenze ausgeführt. Besonders der Osten Kanadas als Standort der Stahlindustrie in Ontario und Québec gilt als wirtschaftlich gefährdet. 20 000 Menschen arbeiten im Stahlsektor, der jedoch wegen Billigimporten aus Asien schon seit zwei Jahren in der Krise steckt.

Als Reaktion auf die Zollpolitik Trumps will Außenministerin Chrystia Freeland jetzt Kanadas Exportzölle anziehen und jeden Dollar wieder eintreiben, der extra bezahlt werden müsse. Dabei geht es um 16,6 Milliarden Dollar, die für US-Produkte anfallen würden - Bierfässer etwa, Whisky, Toilettenpapier und Haarlack. »Diese Aktion ist die härteste Handelsmaßnahme, die Kanada jemals getroffen hat«, so Freeland, die den Schritt mit einer »sehr starken Reaktion auf eine sehr schlechte Entscheidung der USA« begründet. Kanada müsse sich als ein ernst zu nehmendes Land verteidigen. Premier Justin Trudeau hat die USA vor wenigen Tagen mit einem Elefanten verglichen und Kanada als gleichmütigen Elch bezeichnet - der allerdings auch wütend werden könne.

Andererseits gibt es vor dem Gipfel etwas Entspannung im Pazifikraum. China, das nicht zur G7-Gruppe gehört, signalisiert Verhandlungsbereitschaft. Die Volksrepublik will das Volumen der Importe aus den USA um 70 Milliarden Dollar erhöhen. Wirtschaftsexperten deuten dies als Signal der Entspannung im globalen Handelsstreit.

Justin Trudeau wird, wie es die diplomatische Höflichkeit erfordert, den freundlichen Gastgeber spielen. Das Land will sich der Welt als innovativ, wirtschaftsstark und fortschrittlich präsentieren. Top-Themen des Gipfels sollen weltweit bessere Rechte von Frauen, Klimaschutz und Wachstum sein. Doch der Haussegen hängt schief - nicht nur zwischen den Nachbarländern, auch im eigenen Land. Nie seit Amtsantritt im Herbst 2015 war Trudeaus Beliebtheitswert so schlecht wie jetzt. Viele Wähler fühlen sich von dem auf internationaler Bühne liberal und locker auftretenden Regierungschef, der zunächst mit jugendlichem Charme und moderner Agenda begeistert hatte, getäuscht. Teile seiner linksliberalen Anhängerschaft stellen sich gegen den Premier, der eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl an Glaubwürdigkeit verliert. Nach jüngsten Umfragen des Angus-Reid-Instituts aus Vancouver befürworten nur noch 40 Prozent der Kanadier die Politik ihres Premiers, 56 Prozent lehnen ihn ab. Hatte sich Trudeau bei Amtsantritt als Freund der indigenen Bevölkerung ausgegeben, so halten immer mehr Ureinwohner vor allem an der Westküste seine Politik für heuchlerisch. Ein Mann mit Maske, der sich wie sein unbeliebter Vorgänger Stephen Harper dem Druck der Industrie beuge und das Land ausverkaufe.

Im Westen Kanadas - auch mit Unterstützung aus Québec - kämpfen Hunderttausende Menschen gegen eines der ehrgeizigsten und umstrittensten Energieprojekte des Landes. Mit der Trans Mountain Pipeline sollen von den Ölsandfeldern Albertas täglich 900 000 Barrel Rohöl bis nach Vancouver transportiert werden. Das texanische Erdölunternehmen Kinder Morgan wollte die Pipeline für 7,4 Milliarden Dollar durch die Rocky Mountains rammen und auf dem Weg bis zum Pazifik zwölf neue Pumpstationen bauen. Nur wenige Tage vor dem G7-Gipfel hatte sich der Konzern wegen der heftigen Proteste, Risiken und drohenden Klagewellen vom Projekt verabschiedet.

Vor gut einer Woche nun zahlte Trudeaus Regierung Kinder Morgan mit 4,5 Milliarden Dollar aus - es ist das erste Mal, das eine kanadische Regierung eine Pipeline kauft. Doch der Premier hat sein politisches Schicksal mit dem Projekt eng verknüpft - ein riskantes politisches Manöver, das derzeit im Land Schlagzeilen macht. Grünen-Parteichefin Elizabeth May warnt die Regierung vor einer »epischen finanziellen und wirtschaftlichen Geldverschleuderung«.

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