• Berlin
  • Erziehermangel in Berlin

Wege aus der Kitakrise

Die Bildungsgewerkschaft GEW hat konkrete Ideen für eine gute Erzieherausbildung

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Von 8.30 bis 16 Uhr Dienst in der Kita. Danach direkt weiter zur Fachhochschule. Bis 20 Uhr volle Konzentration in den Theoriekursen. Im Anschluss manchmal noch Hausarbeiten machen. So zeitlich vollgepackt sieht ein normaler Wochentag von Desiree Gromilovich aus. »Ich fühle mich häufig überlastet«, sagt sie. Die 36-Jährige ist seit 2016 Erzieherin in berufsbegleitender Ausbildung. Das heißt, dass sie neben ihrem Studium an der Fachhochschule schon ganz praktisch als auszubildende Erzieherin in einer Kita arbeitet. Und als solche trägt Gromilovich bereits eine Menge Verantwortung.

Eigentlich stehe ihr in der Kita eine Mentorin zur Seite, die ihr Tipps und Hilfestellungen im Umgang mit den Kindergruppen geben soll, erzählt Gromilovich. Aufgrund der schwierigen Personalsituation habe die Mentorin, die in diesem Fall noch Vizeleiterin der Kita ist, aber häufig kaum Zeit für die in ihrer Ausbildungsordnung vorgesehenen Anleitungsgespräche.

»Als Auszubildende schon konkrete Erfahrung in der Praxis zu sammeln finde ich enorm wichtig«, sagt Gromilovich. Dass sie häufig mit den Kindergruppen alleine gelassen werde und auch ansonsten fast alle Aufgaben übernehmen müsse, die ihre vollausgebildeten Kollegen machen, stelle sie aber vor eine persönliche Belastungsprobe. »Bis zu meinem Abschluss fühle ich mich doch in erster Linie als Lernende«, sagt Gromilovich.

Doreen Siebernik, Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, weiß um die Problemlage in der berufsbegleitenden Erzieherausbildung. »Die Form der berufsbegleitenden Ausbildung wurde intensiv ausgeweitet, um insbesondere die Kitas schnell mit Personal zu versorgen«, sagt Siebernik. Die Studierenden hätten in der Regel einen Arbeitsvertrag und einen Ausbildungsvertrag, die nicht aufeinander abgestimmt seien. Zudem sei es problematisch, dass die Studierenden zu 100 Prozent auf den Personalschlüssel angerechnet werden würden. »Mit dem ersten Tag ihrer Arbeitsaufnahme stehen sie damit in voller Verantwortung vor den Kindern, Eltern und ihren Kollegen«, erklärt Siebernik. »Das führt häufig zu Überforderung«.

Damit die Doppelbelastung für angehende Erzieherinnen und Erzieher wie Gromilovich in Zukunft nicht mehr so groß ist, fordert die GEW einerseits die Einführung eines dualen Studiums, in dem Arbeits- und Ausbildungsvertrag miteinander harmonieren. Andererseits hält es die Gewerkschaft für sinnvoll, die Studierenden erst nach dem ersten Ausbildungsjahr anteilig auf den Personalschlüssel anzurechnen. »Ohne ausreichend ausgebildetes Fachpersonal können die qualitativen pädagogischen Standards nicht gehalten werden«, sagt GEW-Landeschefin Siebernik.

Die Forderungen zur Verbesserung der berufsbegleitenden Ausbildung sind Teil eines ganzen Vorschlagkatalogs für eine gute Erzieherausbildung in Berlin, den die GEW am Donnerstag vorgestellt hat. »Wir wollen nicht immer nur meckern, sondern auch konkrete Lösungsvorschläge anbieten«, sagt Siebernik. Die Gewerkschaft kritisiert insbesondere Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), angesichts der dramatischen Situation bei den Kitas mit aktuell 3000 fehlenden Plätzen einem Aktionismus verfallen zu sein. Bei dem Handeln der Senatorin stehe vor allem die Steigerung der Ausbildungszahlen im Vordergrund, moniert Siebernik. »Eine Weiterentwicklung der Qualitätsstandards findet dabei gar nicht statt.«

Um eben diese Qualitätsstandards zu fördern, fordert die GEW neben der Einführung eines dualen Studiums und einem grundsätzlich höheren Gehalt für Erzieher auch eine finanziell geförderte Ausbildung samt BaföG für alle Studierenden an den Erzieherfachschulen. »Wir müssen den Erzieherberuf rundherum attraktiver machen, damit er nicht nur finanziell, sondern auch sozial besser angesehen wird«, sagt Siebernik. Außerdem müssten die Ausbildungsstandards an staatlichen und freien Schulen stärker angeglichen werden.

Es sind diese Vorschläge, die die GEW Senatorin Scheeres bei dem für Ende Juni geplanten Kita-Krisen-Gipfel unterbreiten will.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.