- Politik
- Polizeigesetz in NRW
Schleichend in den Überwachungsstaat
Protest gegen das neue Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen wächst. Initiativen rufen zur Großdemo auf. FDP-Politiker erwägen Klage
Mit dem Thema Innere Sicherheit konnte der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor einem Jahr bei der Landtagswahl punkten. Die rot-grüne Landesregierung hatte zahlreiche Missgeschicke zu verantworten. Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, hatte einen Großteil seiner Zeit in Nordrhein-Westfalen verbracht und stand dort im engen Kontakt mit Salafisten. Auch die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/2016 und zahlreiche weitere Vorfälle sorgten für Unsicherheit in der Bevölkerung.
CDU und FDP mussten also nach ihrem Wahlsieg Maßnahmen ergreifen, um auf diesem Themenfeld ihre Wahlversprechen einzulösen. Eine erste Maßnahme ist nun die Änderung des Polizeigesetzes. Die Reform, die im Juli im Landtag verabschiedet werden soll, ist aber nur ein Zwischenschritt. Die Landesregierung möchte das Gesetz darüber hinausgehend »grundsätzlich überarbeiten«. Das sei aufgrund der »aktuellen Gefahrenlage« notwendig, um »besonders wichtige Befugnisse und Regelungen zur effektiven Verhinderung von Straftaten« für die Polizei herzustellen. Einen besonderen Fokus legt die Landesregierung um Innenminister Herbert Reul (CDU) dabei auf präventive und »Gefahren abwehrende« Maßnahmen.
Zuspruch und Kritik für das neue Polizeigesetz gab es am Donnerstag in einer Sitzung des Innenausschusses. Die Parlamentarier hatten sich zahlreiche Experten zu einer Anhörung geladen. Vertreter von Polizeigewerkschaften und Bundeskriminalamt lobten die Novelle. Juristen waren sich uneinig über die Rechtmäßigkeit des neuen Gesetzes. Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München, warnte davor, sich das bayerische Polizeiaufgabengesetz zum Vorbild zu nehmen. Auch bezeichnete er den Begriff einer »drohenden Gefahr«, der polizeiliche Maßnahmen ins Vorfeld einer Straftat ermöglichen soll, als »unausgegoren«. Ähnlich sieht dies auch Maria Scharlau von Amnesty International. Sie bezeichnete den Begriff als »unkonkret«, auch sei er viel zu weit gefasst. Es sei nur auf eine konkrete terroristische Gefahr anzuwenden.
Im Gesetzentwurf werden zahlreiche weitere Straftaten genannt, die solche Maßnahmen rechtfertigen sollen. Künftig soll es etwa möglich sein, Menschen für einen Monat in Polizeigewahrsam zu nehmen. Auch sollen Aufenthaltsverbote und Gebote ausgesprochen werden können. Wer als Gefährder geführt wird, darf im Zweifel die Stadt, in der er lebt, nicht verlassen. Maria Scharlau kritisiert, dadurch könne »die Ausübung eines grundrechtlich besonders geschützten Verhaltens«, nämlich die Teilnahme an Versammlungen, behindert werden. Die »freie Lebensgestaltung« sei so »mit erheblichen Einschränkungen konfrontiert«, so Scharlau.
Neben der parlamentarischen Auseinandersetzung regt sich auch außerhalb des Parlaments Widerstand gegen das Gesetz. Am Donnerstag demonstrierten 50 Menschen des Bündnisses »Nein zum neuen Polizeigesetz NRW« vor dem Landtag. Für den 7. Juli, wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung, plant die Initiative, der über 100 Organisationen angehören, eine Großdemonstration. Fritz Ullman, einer der Sprecher des Bündnisses sieht in dem Gesetz einen »Angriff auf die Gewaltenteilung, die als Garant einer funktionierenden Demokratie gilt«. Besondere Sorge bereitet Ulllmann und seinen Mitstreitern, dass, wer als »Gefährder« von Maßnahmen betroffen ist, keinen Anspruch auf anwaltlichen Beistand hat. Er warnt, NRW könne zum »Polizeistaat« werden und fordert die Landesregierung auf, den Gesetzgebungsprozess zu stoppen.
Widerstand gegen das Gesetz gibt es auch von anderer Seite. Die beiden FDP-Altpolitiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch sagten dem »Kölner Stadtanzeiger« am Donnerstag, dass sie gegen das Gesetz klagen werden, wenn es sich nicht »in wesentlichen Punkten« ändere. In der aktuellen Fassung sei das Gesetz »verfassungswidrig« und führe »schleichend in einen Überwachungsstaat«.
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