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Das Ende des Internets, wie wir es kennen?
Aktivisten und Europaabgeordnete sehen das geplante EU-Copyright-Gesetz als »Gelddruckmaschine« für Verleger und automatische Internetzensur
Wird es am Mittwoch einen »Umfaller« geben, der doch gegen die Gesetzesvorlage stimmt? Mit dem Hashtag #SaveYourInternet – Rette dein Internet – mobilisieren Aktivisten derzeit gegen den Entwurf für ein neues EU-Copyright-Gesetz. Das soll am Mittwoch im Rechtsausschuss des EU-Parlaments verabschiedet werden. Ein Dorn im Auge ist den Internetaktivisten wie der Piratenpartei-Politikerin Julia Reda vor allem Artikel 13 in der Gesetzesvorlage.
Dieser schreibt automatische Uploadfilter für Internetplattformen vor. Diese sollen prüfen, ob das von Nutzern hochgeladene Material gegen das Urheberrecht verstößt, etwa ein Song von Ed Sheeran im persönlichen Profil eines Nutzers auf der Audioplattform Soundcloud oder ein Kinofilm, der bei YouTube hochgeladen wird. Die Videoplattform setzt bereits länger freiwillig einen selbst programmierten Uploadfilter ein. Immer wieder macht dieser allerdings Fehler. Auch ein Video des »neuen deutschland« vom Parteitag der Linkspartei wurde gesperrt, weil es laut Filter angeblich geschützte Musik enthielt.
Da die Filter nur – mehr oder weniger perfekt - prüfen, ob urheberrechtlich geschütztes Material in Uploads enthalten ist, aber nicht den Kontext von Veröffentlichungen, könnte das neue Copyright-Gesetz der Meinungsfreiheit im Internet schaden, so Kritiker. Wenn ein Nutzer etwa ein Selfie vor ihrer mit (urheberrechtlich geschützten) Starpostern gepflasterten Zimmerwand hochladen, könnte dies in Zukunft gelöscht werden, erklärt der Videoblogger »Manniac« bei Youtube.
Das Urheberrecht lässt aber eigentlich ein – etwa kritisches – Zitieren von geschützten Inhalten zu. Doch die Algorithmen von YouTube und Co. erkennen das nicht, verstehen keine Ironie oder Polemik – oder eben, dass das Starposter nur der Hintergrund ist. Die Zeiten der unbeschwerten Memes, in denen Nutzer Schlüsselbilder aus bekannten Filmen mit ironischen Überschriften versehen, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen oder auf Twitter Äußerungen anderer Nutzer pointiert kritisieren zu können, könnten dann der Vergangenheit angehören, fürchten Blogger wie »Manniac«. Er glaubt, das Internet sei dann »nicht mehr wie zuvor«. Man lebe in einer Zeit, in der viele Freiheiten des Internets »zurückgedreht« würden.
Das bemängeln auch die rund 80 Unterzeichner eines offenen Briefes zum Artikel 13 des Gesetzesvorschlages, den unter anderem Internet-Erschaffer Tim Berners-Lee, Wikipedia-Gründer Jimmi Wales und zahlreiche namhafte Informatik-Professoren unterzeichnet haben. Die geplanten Regelungen seien ein »noch nie dagewesener Schritt der Transformation des Internets von einer offenen Plattform zum Teilen und von Innovationen in ein Netzwerk der Überwachung und automatisierter Kontrolle von Nutzern«. Besonders kleine europäische Verlage, Unternehmen und Künstler könnten es sich nicht leisten, eigene Filtersysteme zu installieren und jegliches Material zu überprüfen, monieren sie. Große Internetkonzerne aus den USA dagegen schon. So würde etwa der Digitalkonzern Google, Eigentümer von YouTube, erneut profitieren, wenn kleine Webseiten für die Nutzung des Filtersystems der Plattform bezahlen müssten.
Problematisch sei auch, das nicht geklärt sei, welche Plattformen von den Regeln ausgenommen werden könnten. Man unterstütze den Versuch, Künstler und Autoren angemessen für ihre Arbeit zu entschädigen, doch mit dem derzeitigen Entwurf werde dies nicht erreicht. Sie appellieren deswegen an die Abgeordneten den Entwurf abzulehnen.
Nach Informationen der Piratenpolitikerin Julia Reda ist der Rechtsausschuss (JURI) derzeit gespalten. Auf der einen Seite wollen 12 Mitglieder – Politiker von Sozialdemokraten, Grünen und EU-Skeptiker gegen den aktuellen Entwurf stimmen. Auf der anderen Seite steht eine Koalition aus 13 Abgeordneten von Liberalen, Konservativen und Rechtsextremisten. Angeführt werden sie von dem Vorsitzenden der CDU-Mittelrhein, des Europa-Abgeordneten und JURI-Leiter Axel Voss, der gegen die »Gratis-Mentalität im Internet« und verantwortungslose Digitalunternehmen vorgehen will.
Als Berichterstatter des Parlaments für die Initiative ist es seine Aufgabe sowohl die Linie seiner Partei zu vertreten, als auch das Gesetz durchzubringen und dafür nötige Kompromisse zu schließen. Es gebe wegen des schwächeren Fraktionszwangs im Europaparlament durchaus die Chance darauf, dass einer der Befürworter der Initiative noch umschwenke – auch weil diese derzeit anlässlich der Berichterstattung von YouTube-Stars mit mehreren Millionen Abonnenten »von Protestanrufen und -Mails überschwemmt werden«, sagt Piratenpartei-Politikerin Reda dem »nd«.
Doch es geht nicht nur um die Gefahr von Zensur im Internet, auch Artikel 11 der Richtlinie wird von Aktivisten kritisiert. Eine zentrale Figur im Politthriller um die Copyright-Richtlinie dabei ist Springer-Chef Matthias Döpfner.
Dieser verglich vor Kurzem den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der Staatspresse Nordkoreas und warnte – quasi als Abschluss zur jahrelangen Springer-Kampagne für das Leistungsschutzrecht - Anfang Juni bei einer Medientagung der österreichischen Regierung auch vor einer »hysterischen Übertreibung« politischer Korrektheit. Das Land mit der rechts-rechtspopulistischen Regierung übernimmt demnächst den EU-Ratsvorsitz und könnte die Verabschiedung des neuen EU-Copyright-Gesetzes vorantreiben - vermutlich ging es Döpfner eigentlich darum.
»Wir brauchen als Kreativwirtschaft den Schutz des geistigen Eigentums«, sagte Döpfner, der gleichzeitig auch Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) ist. Das sei nötig zur Weiterentwicklung der Medien in der zunehmend von Google und Facebook dominierten digitalen Welt.
Er und andere mächtige Verleger, wie Christian DuMont polemisieren gerne gegen Facebook und Google. »Meinungsvielfalt darf nicht von den Unternehmenszentralen der Plattformgiganten bestimmt werden«, forderte DuMont unlängst. Der sieht die Meinungsvielfalt nicht durch die großen Verlagshäuser DuMont, Funke-Mediengruppe oder Bertelsmann, die zusammen einen Großteil des deutschen Tageszeitungsmarktes beherrschen und der zunehmenden Konzentration der Berichterstattung in Zentralredaktionen, bedroht, sondern von Googles »Datenschatz«.
Die Verlage, die seit Jahren Werbeeinnahmen an Facebook und Google verlieren, müssten »gerechter« an den hohen Profiten von Facebook und Google beteiligt werden, zumindest wenn diese Verlagsinhalte nutzen. Schon das 2013 eingeführte deutsche Leistungsschutzrecht sollte das erreichen – doch bisher hat Google noch nichts überwiesen. Die Suchmaschine darf kurze Textvorschauen anzeigen, wenn sie auf die Artikel von Zeitungen verlinkt. Nun fordern die Verleger mehr, in der aktuellen Vorlage ist auch eine »Link-Steuer« enthalten.
Geht es nach Springer und den Europaparlamentariern von CDU und CSU soll Google – und möglicherweise auch Verbraucher, die Presseartikel auf Facebook posten – verpflichtet werden die Verlage bereits für das Anzeigen von Textvorschauen und eben die Verlinkung zu bezahlen. Weil Google dann einfach keine Verlinkungen auf Zeitungsinhalte entsprechender Verleger mehr vornehmen würde, soll die Suchmaschine auch zur Verlinkung verpflichtet werden.
Kritiker wie Sascha Lobo sehen das als »Gelddruckmaschine per Gesetz« für die Verleger, die sich dann nur noch eingeschränkt am Markt behaupten müssten. Außerdem schade es kleinen Bloggern und Unternehmen und schwäche letztlich auch die Meinungsfreiheit und -vielfalt im Netz, argumentieren die Macher der Kampagne »Rettet den Link« - ein Zusammenschluss von Internetstiftungen und Bürgerrechtlern.
Nur leicht widerwillige aber vermutlich letztlich doch gehorsame Gehilfen von Springer und den großen Verlagen sind offenbar die Abgeordneten der Union im Europaparlament. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin steht eigentlich, dass man eine Verpflichtung zum Einsatz von Upload-Filtern ablehne. Das Onlineportal »EU-Today« enthüllte Ende Mai, wie Unionsabgeordnete aus der eigenen Partei unter Druck gesetzt wurden, »richtig« abzustimmen. Einzelnen kritischen Abgeordneten wurde demnach mit »Konsequenzen« gedroht und es wurde vorgeschlagen, nicht an der Abstimmung teilzunehmen, damit weniger kritische Nachrücker abstimmen könnten.
Der Artikel wurde übrigens kurz nach der Veröffentlichung positiv umgeschrieben. Ob die Redaktion einen Ratschlag von Ex-Digitalkommissar Günther Oettinger befolgt hat? Der hatte im Oktober 2016 vor deutschen Zeitungsverlegern gefordert, die Medien sollten positiv über das bereits 2014 entworfene Leistungsschutzrecht berichten. Dabei ginge es selbstverständlich nicht um »Zensur, sondern um Überzeugung« der Öffentlichkeit von der »Kapitalkraft und Datenübermacht« der Online-Plattformen.
Doch die Entscheidung am Mittwoch ist nicht das letzte Wort in der Sache. In nächster Instanz muss das EU-Parlament entscheiden – dies wird laut Informationen von Piratenpartei-Politikerin Reda Anfang Juli erfolgen. Auch ein anschließend in den geheimen Trialogverhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Rat und dem Europaparlament ausgehandelter Kompromiss muss noch einmal von den Abgeordneten abgesegnet werden.
Wenn es Uploadfilter und Leistungsschutzrecht bis ins Parlament schaffen, kommt es »auf die Mobilisierung der Zivilgesellschaft an«, sagt Reda. »Die meisten Abgeordneten haben nicht genug technische Expertise etwa zur Beurteilung von Uploadfiltern, dann geht es für sie um die Frage ‘Folge ich der Parteilinie oder folge ich dem Willen meiner Wähler im Posteingang?’«, meint Reda. Bereits jetzt haben über 100 – meist Sozialdemokraten und Grüne - Abgeordnete des Europaparlament angekündigt zumindest Artikel 11 der Copyright-Richtlinie nicht zustimmen zu wollen. Doch das Europaparlament hat 751 Abgeordnete – viel Arbeit für die Zivilgesellschaft.
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