• Kultur
  • »Salome« in Stuttart

Untergang mit Überdruck

»Salome« nach Einar Schleef am Schauspiel Stuttgart

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Theater kann Dichtung gleichsam durch ein Sieb jagen. Alles scheinbar Ausschmückende bleibt zurück, und durch sickert nur dies: vom guten Märchen das Böse; vom Fluss der Dinge die ätzende Säure; vom Farbigen nur das Finstere. Auch Theater wird derzeit vom Moralismus aktivistischer Ordnungskräfte und vom Hüterfleiß der allzu Korrekten bedrängt, umzingelt und befummelt - da erwacht vielleicht mit besonderer Wehrfreude die Lust am Schreddern, am Grellen, an Explosionen, am irre Uneindeutigen. Schon von daher gefällt Sebastian Baumgartens »Salome« nach Einar Schleef am Schauspiel Stuttgart, Bühne: Thilo Reuter, Kostüme: Marysol del Castillo.

Aus dem Tiefinnersten von Texten zwang Einar Schleef seine Bilder. Suchte den Punkt, von wo man jede Gebundenheit an Konventionen ins Freie sprengen könnte. »Salome«. Oscar Wildes Tragödie in einem Akt. Die Quelle: Matthäus 14, Markus 6. Der Nachstellungen ihres Stiefvaters Herodes müde, flieht das Mädchen aus dem Palast hinaus ins Mondlicht, hört aus dem Kerker die Stimme von Johannes dem Täufer, dem jungen gefangenen Propheten. Sie will ihn küssen, er aber, Ankläger höfischer Bigotterie, verwehrt ihr den Kuss - und beschimpft stattdessen Salomes Mutter, die des jetzigen Königs Mord an ihrem eigenen Gatten einst zuließ und begünstigte. Als König Herodes seine Stieftochter bedrängt, sie möge im Palast tanzen, willigt sie ein, weil Herodes ihr hohen Lohn verspricht: Sie will den Kopf des Propheten. Ein Schlag ins Kontor des Königs, der die Heiligkeit des Gefangenen fürchtet. Aber Salome besteht auf ihrem Wunsch ...

Der Palast des Herodes - links und rechts eine Elendshütten-Ahnung - ist das »King David«-Luxushotel, es bietet uns eine wahrlich hinterhöfische Ansicht; Jerusalem ist hier dazu verdammt, sich an den Arsch der Welt zu schmiegen: Mülldeponie und Machtdämonie - eine optische Einheit. Johannes hockt in einer vergitterten Jauchegrube, aus der es stinkt und stöhnt und schreit - der verschmutzte Prophet als Underground-Propagandist, der ab und zu auftaucht und Wahrheitsschrecken verbreitet. Bis ins verfilzte Haar ein Ver-Wüsteter. Das sehr ursprüngliche Propheten-Profil.

Paul Grill verbindet die stolze Größe eines mit gutem Grund Gefangenen mit dem fast tierischen Nichtsgefühl eines Urmenschen. Propheten wollen uns ans wirkliche Leben, und eine Atmosphäre entlädt sich, als suchten Geburts- und Todesschreie nach dem einen gemeinsamen, alles durchdringenden Ton. Gezeigt werden die menschzerreißenden Konsequenzen, einem ideologisch durchtränkten Boden zu entfliehen. Aber auch Salomes ausgereiztes, aufreizendes Selbstbewusstsein kann nur Zerstörung in Gang setzen. Zerstörung, wie sie sich in jeder unzüchtigen Gesellschaft just in jene, just in jede Emanzipation verpflanzt, die das ersehnte Aufräumen betreibt. Tyrannen werden nur von ihren Hassern wirklich verstanden. Und oft genug fortgesetzt.

Über die Bühne peitscht Panik. Der Mond, der da oben blutrot hängt: ein computertechnisches Zerrbild; es ist eher ein Feuerschlund, der die Erde verschlingt. Verschlingt oder schon verschlang? War die Erde oder ist sie noch? Ihr Ende, ihre Wüste, ihre Asche - auch das ist hier: Schöpfung. Von Dreck, Leere, Geschrei, Gedröhn. Ein Untergang mit Überdruck. Ein Blut-Bad mit abgetrenntem Kopf, ein düsterer Choralschlag Bach, kirchenketzerische Videos, im Hotelinnern Party zwischen Berghain und Ballermann.

Das Klicken von kleinen Feuerzeugen - dazu ein Rauschen von gewaltigen Flammenwerfern. Und beim Tanz der Salome mit sieben Schleiern wird das weiße Kleid zur Filmleinwand: Nacktheitsgeflimmer von girliegeil bis vettelgarstig - Höhepunkt menschlicher Blöße freilich ist das Skelett; wo nichts mehr ist, ist alles über uns gesagt.

Julischka Eichel spielt als Salome rasant den Verwilderungskeim, der in jedem Freiheitswillen auf seinen Ausbruch wartet. Sie ist Pubertät auf dem Sprung in die Kriegslust, ist die Mörderin in Mädchenmaske. Keusche Erotik? Grazie der Unnahbarkeit. Mufflig ausgestellte Selbstüberzeugung. Mit ihrer Forderung nach dem Kopf des Propheten treibt sie Thomas Wodiankas Herodes (unter der Turnhose wahrlich: ein lahmer Sack) und ihre Mutter Herodias (eine kalt lärmende Kampfader: Astrid Meyerfeldt) in einen perfide offenen Geschlechterkrieg, bei dem sich Impotenzanklage und hohle Politisiererei keifend und komisch verknäulen.

Erbarmungslos ist der Mechanismus des Lebens, wenn Menschen darauf beharren, ihre Wünsche eingelöst zu bekommen. Gier und Opferschicksal verzahnen sich, auch Trug und Gläubigkeit. So zeigt Baumgarten eine Geschichte der Furcht, einander anzuschauen, einander zu verfallen, Objekt einer fremden Sehnsucht zu werden. Das ungezügelte Ich als Urzelle des Terrorismus, und die Menge als lenkbare Stimmvieh-Herde. Es geht um die schreckliche Lust des Auges am gepeinigten Menschen. Alle Lust ist Kriegserklärung. Eine Art Raumfahrt-Officer hatte den Abend glasnippend eröffnet: Am Whisky hängt, zum Whisky drängt doch alles. »Unterm Kreuz windet sich die Schlange.« Heißt es bei Schleef. Hier: »Seien wir mal ehrlich: So ’ne Schlange schaut man sich doch gerne an.« Schlange klingt wie Schlampe. Der Mann im Mond, Männlichkeit hinterm Mond - dem Planeten vielleicht unserer Zukunft.

Theaters Recht ist immer auch jene schrille Ausgelassenheit, die im Spiel ein weiteres Recht behauptet: Klarheit zu verweigern, obligaten Antworten mit nacktem Hintern ins fade Gesicht zu springen. Für Baumgarten ist Theater noch niemals jenes Begreifen gewesen, das still auf einer Stirn stehen kann. Seine »Salome« ist enthüllender Gestaltungszwang wider den psychologischen Schein, der die Zeichendringlichkeit auf dem Theater untergräbt. Baumgarten, kein Zimperling, ist derb, aber genau; schreierisch, aber nicht plump. Lämmchen-Schlachtung, Voodoo-Kolorit, Drogenhöllenlärm, Mad Max und Heavy Metal - die Tragödie kalauert, der Comic trauert. In Lack und Leder und Lumpen. Wir gehören einer Welt an, die untergeht - aber auf der Suche nach Rettung produzieren wir nur immer böse Wahrheiten, die nicht sterben.

In der Luft das »Rauschen von Flügeln«: Todesengel auf Dienstflug. Aber Salome stirbt nicht. Sie kaut auf der Zunge des toten Propheten herum. Am Ende ein letztes Beben dieser elenden Erde. Überwältigend funkeln Himmels Sterne - das ist ein Glitzern, das Frieden genannt werden darf, weil es sehr, sehr fern von uns Menschen stattfindet.

Nächste Vorstellungen: 23. und 27. Juni

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