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Dein Schwimmbad ist wichtiger als Deutschland
Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne
Fußball spielt in meinem Leben eigentlich keine Rolle. Zwar gehe ich ab und an bei Spielen von Tennis Borussia Berlin vorbei, zahle unsinnigerweise die zehn Euro Eintritt aber eher, um dort mit Bekannten zu quatschen, als um in irgendeiner Form das Spiel zu verfolgen. Als ich ein Kind war, war ich Fan von Bayern München, gemäß dem Sprichwort »Wes Brot ich fress, des Lied ich sing«, schließlich war es der Lieblingsverein meiner Familie. Um den Verwandten schließlich doch eins reinzuwürgen, wurde ich zum Fan des damals härtesten Konkurrenten (Expert*innen können sich jetzt ja ausrechnen, wie lange das her ist): Werder Bremen. Dabei mochte ich gar keinen Fisch. Umso überraschter war ich, als ich gefragt wurde: »Willst du nicht an unserer Kolumne zur Fußballmeisterschaft mitwirken?« Ausgerechnet ich? Ich würde den Monat zwischen Beginn und Ende dieses unsäglichen Spektakels, samt dem die Straßen verschandelnden Deutschlandmob, am liebsten im australischen Outback oder sogar in einem tibetischen Kloster verbringen; jetzt soll ich eine Kolumne darüber schreiben? Schnell hieß es: »Es muss ja auch nur entfernt mit Fußball zu tun haben, pöbel doch einfach ein bisschen herum, das gefällt uns so gut!« Anscheinend war die Redaktion bereit, auch den Verlust ihrer letzten zahlenden Leserschaft zu riskieren. Kurze Zeit später war es beschlossene Sache: Ich durfte mein stark ausgeprägtes Distinktionsbedürfnis in bezahlte Zeilen umtauschen.
Dieser Distinktionszwang aus Kindertagen blieb mir im Leben dauerhaft erhalten, nicht nur beim Fußball, vor allem wenn es um die Spiele deutscher Mannschaften bei Welt- und Europameisterschaften ging. War ich als Linker nicht schon immer bei allem antideutsch, so war ich es zumindest schon von Anfang an, wenn es darum ging, dem Vaterland beim Sport in den Rücken zu fallen. Zahlreiche, nichtlinke Freund*innen gingen mir dadurch verloren, weil ich mich aus Prinzip in den Dienst vermeintlicher Feinde stellte. Nicht nur unterstützte ich den »Untergang des deutschen Fußballs«, den Leipziger Brauseverein in der Bundesliga, sondern schmetterte bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Marseillaise, Rule, Britannia oder die Kassaman. Hauptsache, Deutschland verliert und fliegt raus und der nationalistische Spuk samt Bratwurst in Schwarz-Rot-Gold hat endlich ein Ende und ich habe meine wohlverdiente Ruhe (Geklappt hat das leider nie so richtig).
Zog ich früher zusätzlich noch des Nachts die Almanwimpel der Nachbar*innen ab, um das örtliche Capture-The-Flag und eine Flasche Partizan-Vodka zu gewinnen, habe ich dieses Jahr einen anderen Plan für die Deutschlandspiele: Die Schwimmbäder der Hauptstadt sind während der Spielzeiten angenehm ruhig, leer und weitestgehend vom Nationalismus befreit - fast ein Grund, für ein Weiterkommen der Boches zu sein. Die Weltmeisterschaft ist also nicht nur eine Gelegenheit, gegen deutsche und russische Verhältnisse ins Feld zu ziehen, sondern auch dafür, als antifaschistische Schwimmgruppen einfach mal einen Nachmittag ohne Deutsche genießen und entspannen zu können. Deutschlandfahnen können wir nachts immer noch klauen.*
*Aus rechtlichen Gründen distanziert der Autor sich widerwillig von sich selbst. Lesen Sie in seiner nächsten Kolumne am 3. Juli mehr über seine Zeit im Schwimmbad oder beim Capture The Flag. Stimmen Sie darüber ab, auf Twitter bei @Leebertaire.
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