Chaostage in Ingolstadt
Die Verhaftung von Audi-Chef Stadler erschüttert den Autobauer
Schockstarre, so bezeichnet die Ingolstädter Lokalpresse die Reaktionen in der Stadt auf die Verhaftung von Ex-Audi-Chef Rupert Stadler zu Beginn der Woche. 44 000 Beschäftigte stehen bei dem oberbayerischen Stammsitz des Autobauers in Lohn und Brot, Audi ist weit und breit der größte Arbeitgeber der Region. Und auch die Stadt selbst mit ihren rund 120 000 Einwohnern hängt gewerbesteuerlich am Tropf vom Audi. Hustet das Unternehmen, dann ist die Kommune längst erkältet. So verwundert es wenig, dass angesichts der Vorwürfe gegen den Vorstandschef es sowohl den meisten Mitarbeitern als auch den lokalen Politikern die Sprache verschlagen hat.
Die Unternehmensführung hatte am Dienstag auf den »Paukenschlag« reagiert, den beschuldigten und in Haft einsitzenden 55-jährigen Vorstandschef von seinen Aufgaben entbunden und den bisherigen Vertriebsvorstand Abraham Schot als vorläufigen Stellvertreter eingesetzt. Der Audi-Betriebsrat und die IG Metall begrüßten die Beurlaubung von Stadler und die Berufung von Schot, für den sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ausgesprochen hatten. Peter Mosch, Betriebsratschef und stellvertretende Audi-Aufsichtsratschef, mahnte an, dass die Belegschaft und auch Audis Markenimage nicht weiter unter der belastenden Situation leiden dürften. Entscheidend für die Mitarbeiter sei, dass Schot als kommissarischer Vorstandsvorsitzender das Unternehmen wieder in ein ruhiges Fahrwasser bringen und die Aufklärung in Sachen Dieselskandal vorantreibe, so der Betriebsratschef. Auch Irene Schulz, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und Mitglied im Präsidium des Audi-Aufsichtsrats, forderte eine klare Perspektive für die Belegschaft, Audi müsse sich der Zukunft der Automobilbranche stellen.
Stadler, der in der Gegend um Ingolstadt geboren und dort verwurzelt ist, war am Montag wegen Verdunklungsgefahr in Haft genommen worden, die Staatsanwaltschaft München II ermittelt bereits seit Ende Mai wegen Betrugs sowie mittelbarer Falschbeurkundung gegen ihn. Der Audi-Chef, so der Vorwurf, soll seit Jahren von der Manipulation bei den Abgaswerten der Dieselmotoren gewusst haben. Er soll zudem nach der Aufdeckung des Dieselskandals beim Mutterkonzern VW im Herbst 2015 Hinweise erhalten haben, dass auch bei dem Ingolstädter Unternehmen Autos mit manipuliertem Abgassystem vom Fließband gelaufen seien. Dennoch habe der Vorstandsvorsitzende den Verkauf dieser Fahrzeuge nicht gestoppt. Die Verdunklungsgefahr bestünde, da Stadler versucht habe, Zeugen zu beeinflussen.
Dass der Audi-Chef, der bereits 1990 als Controller seine Karriere bei Audi begann, in Augsburg in Untersuchungshaft sitzt, hat seinen Grund. Denn im Untersuchungsgefängnis München Stadelheim sitzt bereits seit September ein weiterer Ex-Audi-Manager ein: Wolfgang Hatz. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft München II vor, als früherer Entwicklungschef bei Audi in die Abgasaffäre verwickelt zu sein, was Hatz bestreitet. Seine Anwälte boten sogar drei Millionen Euro als Kaution an, um ihn aus dem Gefängnis zu holen und reichten eine mehr als 50-seitige Haftbeschwerde ein, die der Haftrichter allerdings ablehnte. Die Staatsanwaltschaft fürchtet offenbar, dass sich Hatz und Stadler absprechen könnten, wenn sie in der selben Haftanstalt untergebracht werden. Standardmäßig werden Untersuchungshäftlinge im selben Fall in verschiedenen Gefängnissen untergebracht, um Kontakte zu verhindern.
Inzwischen sind nach Medienberichten neue Details zur Dieselaffäre bei Audi bekannt geworden. Danach hat Audi einem früheren Abteilungsleiter und Ingenieur eine Abfindung von 1,5 Millionen Euro bezahlt. Der Mann hatte seine Mitwirkung an der Abgasmanipulation zugegeben und war deswegen fristlos gekündigt worden. Dagegen wollte er sich vor dem Arbeitsgericht wehren, was die Preisgabe interner Details und Angaben zur Rolle des studierten Betriebswirts Stadlers mit sich gebracht hätte. Auch der Ingenieur saß vor diesem Abfindungsvertrag in Untersuchungshaft, denn im November 2017 hatte das Oberlandesgericht München entschieden, gegen den ehemaligen Abteilungschef bestehe der dringende Tatverdacht des Betrugs durch den Verkauf abgasmanipulierter Autos. Der Ingenieur sei aber nicht als maßgeblicher Entscheidungsträger anzusehen und wurde gegen eine Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt.
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