Gar nicht so bitter
Biolumne
Passend zur Grill-Saison erfahren wir aus der Zeitschrift der American Chemical Society »Journal of Agricultural and Food Chemistry« (DOI: 10.1021/acs.jafc.8b00830) etwas wahrhaft »Ess-Enzielles«. Einen Grund nämlich, warum uns Rindfleisch so gut schmeckt. Kurze Antwort: Die Abbauprodukte bestimmter Eiweiße des Rindfleischs blockieren die Rezeptoren der Zunge für bitteren Geschmack.
Biolumne-Leser kennen die fünf grundlegenden Geschmacksrichtungen: bitter, süß, sauer, salzig, umami (fleischig-würzig). Der bittere Geschmack wird bei Menschen durch 25 Rezeptoren der Zellmembranen der Sinneszellen wahrgenommen, Fachleuten als Sieben-Transmembran-Regionen (7TMs) bekannt. Das Sehen und Riechen benutzt ebenfalls Sieben-Transmembran-Regionen.
Der bittere Geschmack wird 100 000-fach besser wahrgenommen als der süße. Das erscheint sinnvoll, denn der Bittergeschmack ist in der Natur oft eine Warnung vor Giften.
Für den Süß-Geschmack gibt es nur einen einzigen Rezeptor. Der lässt sich mit etlichen Stoffen täuschen, zum Beispiel mit Aspartam, einem Peptid. Aspartam befindet sich in kalorienreduzierten Getränken. Die schlank machende Wirkung des Aspartams ist allerdings zunehmend umstritten. Es suggeriert Süße, liefert keine Energie und provoziert Heißhunger.
Für die 7TM-Aktivität in den Bitter-Rezeptoren sind bisher nur wenige Hemmstoffe (Inhibitoren) bekannt, fast alles kurzkettige Verbindungen von wenigen Aminosäuren, sogenannte Peptide. Solche Peptide können von Verdauungsenzymen (Proteasen) im Körper durch Spaltung von Proteinen erzeugt werden. Einige von ihnen reduzieren den bitteren Geschmack von aufgenommenen Substanzen und wirken auch entzündungshemmend.
Prashen Chelikani, Rotimi E. Aluko und ihre Kollegen von der University of Manitoba im kanadischen Winnipeg behandelten nun Rindfleisch mit sechs verschiedenen Enzymen: Alcalase, Chymotrypsin, Trypsin, Pepsin, Flavourzym und Thermoase.
Chinin, in Europa weniger als Antimalaria-Mittel bekannt denn als Bestandteil von Sommerdrinks (Gin Tonic), wurde von ihnen als Bitterstoff zum Test benutzt. Gemessen wurde der Grad der »Erbitterung« mit einer »elektronischen Zunge«.
Längere Peptide, die mit Trypsin- und Pepsin-Verdauung erzeugt wurden, reduzierten dabei am effektivsten die »Bitterkeit« von Chinin. Passt perfekt, denn Trypsin und Pepsin sind die menschlichen Verdauungsenzyme.
Die Autoren sehen große Perspektiven für Anti-Bitter-Peptide in der Nahrungsgüter- und Pharmaindustrie. Keine bitteren Pillen mehr. Dem Biolumnisten fallen weitere praktische Anwendungen der »Anti-Bitter-Peptide« für die Beziehungen zum direkten südlichen Nachbarn der Kanadier ein: Man könnte sich die bitteren Kommentare auf Donald Trumps nachträglich getwitterte Ablehnung des Abschlussdokuments des G7-Gipfels in Kanada versüßen. Und natürlich könnte die Nahrungsmittelindustrie noch mehr Appetit auf ungesundes Essen machen. »America first!« - wenigstens bei Fettleibigkeit.
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