Die Farbe des Feminismus
Landestheater Eisenach: »On The Edge« ist Tanztheater, das die MeToo-Debatte thematisiert
Mixturen sind ja beliebt auf Bühnen. Auch dieses Stück mischt Schauspiel, Musik und Tanz. Theater ist ja an sich Ort der Künste. Es mixt Sprache mit mimischer Darstellung, untermalt seine Handlung musikalisch, setzt Instrumente und Stimmen gegen die Szene, choreografische Mittel kommen nicht zu kurz. Fast alles scheint schon probiert. Die Möglichkeiten sind unendlich. In Kostüme und Masken schlüpften Schauspieler, seit es die Bühne gibt. Die Angelegenheiten der Polis auszusprechen, war zu Zeiten der Aischylos und Sophokles hohes, um nicht zu sagen höchstes Gut. Längst steht es im Verfall. Das Landestheater Eisenach scheint Mühe aufzuwenden, solchen Verfall aufzuhalten. Tut es das mit den richtigen Mitteln oder einschneidenden Inhalten?
»On The Edge«, eine Koproduktion des Landestheaters Eisenach und des Nationaltheaters Weimar, ist ganz auf das Thema Gender zurechtgeschneidert und bleibt daher weitgehend an der Oberfläche. Lohnt es, das »Gender«-Problem aufzuwerfen, wenn der Blick auf den auch die Geschlechterbeziehungen ruinierenden kapitalistischen Hintergrund fehlt?
Die Farbe des Feminismus leuchtet durch fast alle Stückteile der Inszenierung hindurch, die Andris Plucius und Hasko Weber erdacht haben. Die Texte stammen überwiegend von Frauen, allen voran Sibylle Berg, gebürtig in Weimar, Autorin von Romanen und Stücken vornehmlich über Mann-Frau-Beziehungen (»Das wird schon! Nie mehr lieben«, »Ich bin ein Mann - Mahlzeit!«), daneben Elfriede Jelinek und Xavier Durringer aus Frankreich. Durringer schreibt Dramen und Drehbücher und dreht Filme, einige Stücke von ihm führen in die Banlieues von Paris, sprich: in Jugendelend, kaputte Geschlechterbeziehungen, Kriminalität, in Prostitution, permanente Polizeieinsätze, Aufstand. Daraus hätte etwas gemacht werden können. Kam aber nicht. Soziale Hintergründe blieben ausgeblendet oder, oft ziemlich kläglich, nur verbal angedeutet. Ein Grundmakel der Arbeit.
»On The Edge« ist eine Performance, in der die Tanzsparte so gut zum Zuge kommt wie das Schauspiel. Dies Zweierlei in Einem verlangt den spezialisierten Akteuren freilich einiges ab. Die einen können es mehr, die anderen weniger. Acht Darstellerinnen und Darsteller, zugleich Tänzerinnen und Tänzer, stehen zu Gebot, je vier Paare. Markant in Tempi und Rhythmen sind ihre Solo-, Paar- und Gruppenpartien, angeheizt durch Musiknummern (Einstürzende Neubauten, Michael Nyman, Charles Bradley, Headcrash, FM Einheit u.a.). Vor einem durchsichtigen Rechteck (Bühne und Kostüme: Sarah Antonia Rung) agieren Frauen und Männer gleich zu Beginn mit wilden Gebärden mit- und gegeneinander.
Sie verknäueln sich, um sich wieder zu lösen und neu aufeinander zu zu laufen. Geschlechterkämpfe fechten sie aus. Ausflüge in asiatische Tanzgefilde und schaurig-knallige Tableaus ergänzen die Abfolge. Die choreografischen Aufrisse, durchweg löblich, stammen von Andrea de Marzo, Shuten Inada und Karin Honda.
Partnerprobleme, zärtliche bis brutale Konflikte, kommen in »On The Edge« reihenweise auf den Prüfstand. Es gibt die merkwürdigsten Fälle. Auftritt des naiv Liebenden: Der steht lässig an der Rampe und bequatscht die Zuschauer, erzählt, wie die Chose zwischen ihm und ihr allmählich zerbröselte, obwohl er sie doch ungeheuer lieb hat. Rasch tritt er wieder zurück in die Tanzformation und darf dort seine überschüssigen Energien entladen.
Die Kraft der Liebe symbolisieren vor allem die Ensembles. Nach donnernden Klängen kehrt Ruhe ein mit der barocken »Passacaglia for Solo Violin« von Heinrich Ignaz Franz von Biber, deren Erfülltheit sich zärtliche Körperwindungen anschmiegen. Gelungen die Szene, als die vier Paare sich in Reihe betten und morgens gleichsam aufwachen. Die vier Männer verlassen die Geliebte nach der mit ihr verbrachten Nacht, sie gehen, aber sie verschwinden nicht, sie finden wieder zurück. Mit der Aria der Bachschen »Goldbergvariationen« klingt die Szene wie ein Geschenk.
Nächste Vorstellung: 23. Juni
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