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Datenbank für den Kinderschutz

Neue Fachstelle in Thüringen soll die Fälle registrieren, in denen Mediziner das Wohl von Kindern gefährdet sehen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Kay Großer nennt das Phänomen Ärzte-Hopping. Der Leiter der Kinderschutzambulanz am Helios-Klinikum in Erfurt erklärt es so: Wenn Eltern, die ihre Kinder schlecht be- oder sogar misshandeln, den Eindruck haben, ein Kinderarzt oder ein anderer Mediziner komme ihnen auf die Schliche, dann tauchen sie bei diesem Arzt nicht mehr auf. Sie konsultieren einfach einen anderen. Dann dauert es in der Regel wieder einige Zeit, bis der neue Arzt so vertraut mit der Familie und der Krankengeschichte ist, dass auch er Verdacht schöpft.

Dann würden die fraglichen Eltern den nächsten Kinderarzt aufsuchen. Dadurch geht aber bei der Hilfe für die betroffenen Kinder wertvolle Zeit verloren. Das werde auch dadurch begünstigt, sagt Carsten Wurst, dass Missbrauch oder Vernachlässigung von Kindern bei Thüringer Kinderärzten nicht jeden Tag vorkämen und von den Medizinern deshalb solche Fälle nicht einfach zu erkennen seien. Wurst ist Leiter der Arbeitsgruppe »Gewalt gegen Kinder« der Landesärztekammer Thüringen und Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums des SRH-Zentralklinikums in Suhl.

Um gegen dieses Ärzte-Hopping von gewalttätigen, teils überforderten Eltern etwas zu tun, hat Thüringen Anfang Juni eine neue Einrichtung eröffnet, die dazu beitragen soll, Kinder besser vor Gewalt und Vernachlässigung zu schützen. Im Rahmen des auf vier Jahre angelegten Modellprojektes soll eine neue Fachstelle für den Kinderschutz im Freistaat gegründet werden. Angesiedelt wird sie nach Angaben von Thüringens Minister für Bildung und Jugend, Helmut Holter, am Helios-Klinikum in der Landeshauptstadt. Für das Projekt stellt das Land in den nächsten vier Jahren etwa 275 000 Euro zur Verfügung.

Die neue Fachstelle soll nach Angaben von Kay Großer auch das tun, was derartige Leit- und Koordinierungseinrichtungen immer tun: Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte aus ganz Thüringen organisieren und alle jene im Land besser vernetzten, die sich mit dem Schutz von Kindern beschäftigen. Allerdings hat sich diese Fachstelle mit dem Kampf gegen das Ärzte-Hopping auch ein zusätzliches Ziel gesteckt, das über das Übliche hinausgeht.

Konkret, sagt Großer, soll mithilfe der Fachstelle eine thüringenweite Datenbank aufgebaut werden, in der alle Verdachtsfälle auf Missbrauch oder Vernachlässigung von Kindern erfasst werden - und auf die dann zum Beispiel Ärzte Zugriff haben sollen. Die Idee: Wenn ein Arzt den Verdacht hat, dass das Kind einer bestimmten Familie psychische oder physische Gewalt erlebt oder sexuell missbraucht wird, soll er mit Hilfe der Datenbank schnell prüfen können, ob andere Ärzte im Land in der Vergangenheit schon einmal einen ähnlichen Eindruck hatten. Zwar gibt es schon viele Menschen und Institutionen in Thüringen, die sich dem Schutz von Kindern und Jugendlichen verschrieben haben oder verpflichtet fühlen: Jugendämter, Familiengerichte, Polizisten, Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher und eben auch Mediziner. Jedoch gehen Informationen über problematische Fälle zwischen ihnen auch verloren oder werden nicht schnell genug ausgetauscht.

Dass der Aufbau einer solchen Datenbank hohe Anforderungen an den dabei zu wahrenden Datenschutz stellt, betont Großer ausdrücklich. Trotzdem sei die Einrichtung einer solchen Datenbank möglich. In der Region Duisburg habe es in der Vergangenheit bereits eine solche Datensammlung und -auswertung gegeben. Deren Rechtmäßigkeit sei zwar von Juristen infrage gestellt worden, doch schließlich hätten Gerichte festgestellt, dass es zulässig sei, Verdachtsfälle auf sogenannte Kindeswohlgefährdungen unter bestimmten Bedingungen zu speichern.

Nach Daten des Thüringer Bildungsministeriums erfassten die Landesbehörden im Jahr 2016 insgesamt 365 Fälle, in denen es den dringenden Verdacht gab, das Wohl eines Kindes könnte gefährdet sein - sehr häufig durch Vernachlässigung, immer wieder aber auch durch psychische oder physische Gewalt oder sexuellen Missbrauch. In weiteren 421 Fällen erfassten die Behörden einen vagen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Jüngere Daten liegen derzeit nicht vor.

Längst nicht jeder Verdachtsfall bestätigt sich allerdings. Nach den Erfahrungen von Kinderschützern erweisen sich regelmäßig mehr als die Hälfte aller Fälle, in denen eine Kindeswohlgefährdung vermutet wurde, als unzutreffend. Die Fälle, in denen sich der Verdacht schließlich bestätigt, sind jedoch häufig besonders gravierend.

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