EU-Neuling hat Chancen verpasst
Die Zwischenbilanz Kroatiens fällt fünf Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union bescheiden aus
Zumindest Kroatiens Regierungschef Andrej Plenkovic wartet zum eher ernüchternden EU-Jubiläum mit einem merkwürdigen Trost auf. In Afrika herrsche eine solche Armut, »dass sich dort alle einen solchen Lebensstandard wie in Kroatien ersehnen« würden, verkündete der Chef der konservativen Regierungspartei HDZ in dieser Woche in seiner Rede zum nationalen Staatsfeiertag seinen perplexen Landsleuten. »Sollen wir glücklich sein, dass wir nicht den ganzen Tag auf dem Feld arbeiten müssen und Trinkwasser haben?«, ätzt bitter der Kommentator des Webportals »index.hr«. Ein »entwickeltes Land voller Potenzial« sei zu Europas Bodensatz mutiert, dem nur noch der Vergleich mit Afrika bleibe: »Statt dass wir uns Österreich annähern, ist in der EU ist nur noch Bulgarien hinter uns und wird es uns in zehn Jahren auch noch überholen.«
Am 1. Juli jährte sich Kroatiens EU-Beitritt zum fünften Mal. Jubelstimmung kommt im Adriastaat allerdings keine auf. Denn die Bilanz des EU-Neulings ist eher durchwachsen. Zwar ist das Land nach jahrelangem Minuswachstum seit 2015 wieder auf Wachstumspfad. Doch obwohl Kroatien 2017 ein Wachstum von 2,7 Prozent aufwies, sind die Zuwächse für ein Transformationsland viel zu gering, und es kann von einer Aufholjagd keine Rede sein. Im Gegenteil: Seit 2017 weist selbst Rumänien laut den EU-Statistiken mit 63 Prozent des EU-Mittels ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Kroatien auf (61 Prozent).
Auch die Freude über die starke Absenkung der Arbeitslosigkeit in den ersten fünf EU-Jahren von 17,4 (2013) auf derzeit 9,8 Prozent ist in Kroatien nicht ungetrübt. Denn die ist vor allem der Gewährung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit in mittlerweile fast allen Mitgliedsstaaten zu verdanken. Die sich beschleunigende Abwanderung vor allem junger Arbeitskräfte ins Ausland lässt Demografen angesichts sinkender Geburtenraten vor einer Vergreisung und die Entvölkerung ganzer Landstriche warnen: Vor allem Ostslawonien wird davon hart getroffen.
Kroatiens Wirtschaft und Gesellschaft wäre ohne die EU-Mitgliedschaft in einer »schlechteren Situation«, die Arbeitslosigkeit höher, das Wachstum schwächer, stellt der Ökonom Zarko Primorac gegenüber dem Fernsehsender Aljazeera Balkans klar. Doch dies bedeute nicht, dass alle Möglichkeiten des Beitritts genutzt worden seien. Im Gegenteil: Zagreb habe »große Gelegenheiten« für ein dynamischeres Wachstum, einen erhöhten Export, eine effizientere Verwaltung und die Modernisierung des Staats »verpasst«.
Primorac bemängelt, dass die während der Beitrittsverhandlungen begonnene Reformen sofort nach Beitritt »auf praktisch allen Sektoren« eingestellt worden seien. Nicht nur bei der Reformierung des Renten-, Erziehungs- und Gesundheitswesen sei das Land hinter das Niveau von vor fünf Jahren zurückgefallen. Für die noch immer schleppende Nutzung der 10,8 Milliarden Euro (12,4 Milliarden Franken) an EU-Fördermitteln, die Kroatien bis 2020 zustehen, machen Kritiker auch den aufgeblasenen, aber behäbigen Verwaltungsapparat verantwortlich.
Auch außenpolitisch gilt Kroatiens bisheriges EU-Gastspiel keineswegs als Erfolgsgeschichte. Zweimal musste Brüssel den selbsterklärten Anwalt der EU-Erweiterung schon wegen unzulässiger Handelssanktionen gegen EU-Anwärter Serbien zurückpfeifen. Balkantrotz bestimmt auch Kroatiens Umgang mit den anderen nicht minder starrsinnigen ex-jugoslawischen Nachbarn: Die Rücksicht auf nationalistische Empfindlichkeiten im Inneren erschwert Zagreb die Kompromisssuche. Doch das Dauergezänk mit fast allen Nachbarn isoliert Kroatien in Brüssel - und hat dem Land den Ruf als neues EU-Problemkind beschert.
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