Virtuell kuppeln für die Umwelt
Tests für Laster der Zukunft laufen auf derzeit ungenutzter BER-Landebahn
»Sehen Sie, jetzt reduzieren wir langsam den Abstand: 30 Meter, 25 Meter, bis auf 15 Meter.« Sebastian Völl, Projektleiter beim Nutzfahrzeughersteller MAN, sitzt am Steuer seines Lkw und drückt zwei Tasten, die im Lenkrad eingelassen sind. Er ist nun mit dem vorausfahrenden Fahrzeug gekoppelt. In knappem Abstand fahren die beiden Lastwagen mit 80 Stundenkilometern über eine derzeit ungenutzte Startbahn am Flughafen BER in der Nähe des Dörfchens Selchow. »Auf der Straße müssten wir rein rechtlich einen Sicherheitsabstand von 50 Metern einhalten, aber hier zeigt sich, unser System reagiert innerhalb von Millisekunden auf jede Geschwindigkeitsänderung des voranfahrenden Lkw.« Theoretisch könnte Völl nun auch die Hände vom Lenkrad nehmen, denn sein Fahrzeug hält mithilfe von Seitenstreifenerkennung die Spur von alleine. »Bisher müssen wir noch die Hände am Lenkrad lassen, aber in Phase 3 ist geplant, dass wir auch darauf verzichten.«
Das automatische Kolonnefahren, englisch Platooning, von Lkw ist noch in der Testphase, das ist auch Peter Strauß, technischer Projektleiter bei MAN, wichtig zu betonen. Allerdings sagt er auch, dass das Projekt, das er betreut, momentan weltweit einmalig sei. Seit zwei Jahren leitet er die technische Umsetzung.
»Wir haben Radar, GPS, Laserscanner und Kameras installiert, um das System umzusetzen. Die Herausforderung ist nun, es zur Serienreife zu bringen«, so Strauß. Ziel des Projekts sei es, durch den Windschatteneffekt Treibstoff zu sparen. In einem zweiten Schritt soll der Fahrer des hinterherfahrenden Lkw vom Fahren entlastet werden, sodass er beispielsweise seine Ruhezeiten einlegen oder Dispositionsplanungen erledigen kann. Ein völliger Wegfall des zweiten Lkw-Fahrers ist bisher noch nicht in den konkreten Planungen.
Momentan testet der Zusammenschluss von MAN und der Spedition DB-Schenker mithilfe einer Ausnahmegenehmigung des bayerischen Innenministeriums auf der A9 zwischen Nürnberg und München die Praxistauglichkeit der Technik. Bisher ohne Zwischenfälle, wie Strauß berichtet. »Allerdings muss noch eine große Menge an Daten ausgewertet werden.« Für ein Resümee des Feldversuchs ist es also noch zu früh.
In der Tat gibt es im realen Betrieb aber immer wieder unvorhergesehene Herausforderungen. »Unser größtes Problem sind Autofahrer, die zwischen die gekoppelten Lkw fahren«, so der Techniker. In solch einem Fall vergrößert das System den Abstand der Lastwagen und löst schließlich die virtuelle Kopplung auf - der zweite Fahrer übernimmt wieder vollständig die Kontrolle. Sollte dies passieren, ist natürlich der Diesel-Einspareffekt dahin.
Laut Strauß sei sogar ein Koppeln von vier oder fünf Lkw möglich, das sei aber in Deutschland wegen der hohen Verkehrsdichte und dem engen Straßennetz weniger praktikabel. »In den USA oder Schweden hingegen kann ich mir das gut vorstellen«, so der Projektleiter.
Was das Koppeln von Lastern für die Fahrer bedeutet, untersucht Sabine Hammer von der Hochschule Fresenius projektbegleitend. Dazu tragen die Fahrer spezielle Kappen, die mithilfe von Elektroden Gehirnströme und somit die Aufmerksamkeit messen können. Außerdem verpasst sie den Fahrern ein Brille, die die Augenbewegungen registriert. Rund eine Milliarde Daten fallen so pro Fahrt an. Damit versuchen die Forscherin und ihr Team zu ergründen, wie sich Fahrer verhalten, die nicht mehr fahren müssen, aber trotzdem aufmerksam bleiben sollen, um im Notfall eingreifen zu können. Auch werde erforscht, womit dafür gesorgt werden kann, dass die Fahrer aufmerksam bleiben, erklärt die Wissenschaftlerin. So sei denkbar, dass der Fahrer aufgefordert wird, in einer gewissen Zeitspanne beispielsweise einen Knopf zu drücken.
Der Bund fördert das Projekt mit zwei Millionen Euro, und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) war bei dem Start der Testphase auf der A9 zugegen.
In der Speditionsbranche sorgt das Projekt nicht nur für einhellige Zustimmung. Brummi-Fahrer fürchten, wegrationalisiert zu werden. Martin Bulheller vom Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung glaubt allerdings nicht, dass es so weit kommt. »Dafür muss erst noch eine Reihe rechtlicher und praktischer Fragen geklärt werden«, so Bulheller. »Wer haftet beispielsweise, wenn sie Lkw unterschiedlicher Speditionen verbinden und es zum Unfall kommt?« Dennoch sieht er das Platooning als ein »interessantes Projekt«, wobei allerdings, so Bulheller, der »hauptsächliche Nutzen in einer Spriteinsparung von 10 bis 15 Prozent besteht.« Außerdem bezweifelt er die Akzeptanz bei Brummi-Fahrern: »Die wollen doch nicht stundenlang auf eine Wand schauen und nichts tun.«
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