Dreiklang progressiver Plakatkunst

Burg Beeskow erinnert an eine Kunst-Revolte in Polen, Frankreich und der DDR

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Hoch leben sollen sie - die unter heutigen Verkehrsverhältnissen gar nicht so entlegenen Ecken. Inseln föderal sortierter Kulturleistung sind es. Burg Beeskow heißt eine von ihnen. Vom Sommer aus der Metropole herausgelockt in die freie Natur, muss man bloß das richtige Ausflugsziel wählen. Beeskow ist von Berlin (und anderswo) genauso bahngünstig wie autobahnnah zu erreichen. Was sich mittlerweile herumsprach, ist nur ein Teil der Wahrheit über die märkische Kleinstadt - dass hier nämlich Auftragskunst aus DDR-Zeiten aufbewahrt und für Ausstellungen aufbereitet wird. Wichtiger ist inzwischen eine deutlichere Beziehung zur Gegenwart. Was brennt uns auf den Nägeln? Dazu immer wieder Kunst entdecken. Ein Programm.

Also Nutzanwendung mittels Rückschau. Das nun aktuelle 68er Jubiläum erinnert an Revolte und Neuaufbruch. Der Bezug zu gegenwärtig unter trügerischem Wohlstand brodelnden Konflikten liegt auf der Hand. Dass das Wiederbeleben von damals einsetzenden Impulsen schier auf die Tagesordnung drängt, wird immer deutlicher spürbar. Die krasseste Erkenntnis bei Betrachtung des Komplexes »68« ist wohl das weitgehende Scheitern ihrer unmittelbar politischen Ziele bei gleichzeitiger enormer Einflussnahme auf Veränderung von Lebensweise und Kulturverständnis. Was so bisher wenig wahrgenommen wird, ist fast als eine kleine Kulturrevolution zu bezeichnen. Dass Rockmusiker, Modeschöpfer, Liedermacher und eben auch Zeichengeber aus der Grafikbranche die Gesellschaft mit einem wahren und echten Jugendkult aufmöbelten, gab es vorher so nicht.

Und Plakate, sofort in Poster umbenannt, waren mit einem Schlag nicht nur auf den Straßen der Großstadt und den Plätzen von Kulturevents präsent. Nein, sie drangen durchaus als Wandschmuck in die Privatsphäre von Studentenbuden und Wohngemeinschaften ein. Ja, es soll sogar Beispiele gegeben haben, da schmückten einzelne noch nicht in willige Arbeitnehmerschaft herabgestufte Werktätige ihre Arbeitsplatzecken damit. Jugendsprache und Polit-Slogans fanden so ein Pendant in einer unkonventionell geistreichen Bildsprache. Genau dahin fühlt man sich zurückversetzt, betritt man vom Burghof her die Erdgeschossräume des nun als »Kreismuseum Burg Beeskow« bezeichneten Areals. Und unwillkürlich überkommt uns der Widerwille gegen eine visuelle Kultur, die in der Folgezeit alles Sichtbare mit dem Dilettantismus klebrigen Werbungskitschs überzieht.

Bei genauerem Besehen des konkret hier so kontrastreich bildwitzig Daherkommenden geht uns schnell ein Seifensieder auf: Die traditionelle Querverbindung Warschau-Paris machte um das Berlin des Ostens eben keineswegs den politisch vorgeschriebenen Bogen. Schon allein die Gründungsdaten dreier dauerhaft installierter Aktivitäten sprechen für sich. Das Jahr 1966 brachte die Gründung der internationalen Plakatbiennale im Warschauer Schloss Wilanow. Es markierte die beginnende weltweite Ausstrahlung eines seit den 50er Jahren etablierten unverwechselbar polnischen Plakatstils. Jan Lenica, Henryk Tomaszewski, Jan Mlodozeniec, Waldemar Swiercy - hier mit guten Beispielen gezeigt. Von kommerzieller Produktwerbung befreit, blühte die Kulturinteressen entgegenkommende lapidare Bildmetapher.

All das korrespondierte sofort mit in der DDR dominierenden Voraussetzungen. Die Berliner Professoren Klaus Wittkugel und Werner Klemke spornten eine ganze Schülergeneration zur Beschreitung dieses Weges an. Beispiele dafür zeigt Beeskow nun in Fülle: Namen wie Albrecht von Bodecker, Feliks Büttner, Jutta Damm-Fiedlier, Heinz Handschick, Otto Kummert oder Volker Pfüller stehen dafür. Vielseitig, weltoffen, zeichenhaft lebendig - eine einzige Ohrfeige für einen offiziell immer leiser gepredigten Sozialistischen Realismus. Abstrahierende Bildmotive en masse statt der im Westen gepredigten totalen Abstraktion - ohnehin inzwischen im Meer des Fotografismus untergegangen. Folgerichtig kam 1970 der Wettbewerb der »Besten Plakate des Jahres« in Gang - der ähnlich wie das Warschauer Unternehmen bis heute besteht. Mit einem Unterschied: Was damals staatliche Starthilfe war, ist heute Privatinitiative zur Rettung einer marginalen Restsubstanz von meisterlich gestalteten Plakaten. Gleichfalls 1970 begann das nun als »Grapus« firmierende Pariser Grafikerkollektiv sich von den korrumpierenden Vorgaben kommerzieller Werbung zu befreien. Die Gewerkschaft CGT, KPF und viele soziale und kommunale Auftraggeber waren über ein Jahrzehnt für politische Plakatkunst zu begeistern, ehe mit der Mitterand-Administration sogar Ministerien dazu kamen. Damals prominente französische Namen der Freunde des Deutschen Axel Jordan setzen sich gegenwärtig im »Nous travaillons ensemble« fort. Seit Mai 1968 gab es in Paris das »Atelier populaire«. Ganz anders als in Berlin kam mit der Studentenrevolte eine Flut in Wort und Bild satirisch scharfer Handzettel in Umlauf. 21 davon haben nun Studenten der Kunsthochschule Berlin Weißensee neu gedruckt und an einer Ausstellungswand in Beeskow angepinnt. Ein Zeichen, was damals möglich war, und heute nötig wäre.

Das Ganze wäre ohne die Initiative ihres Professors Steffen Schuhmann nicht denkbar. Er realisierte mit der Stiftung Plakat OST in Person von Sylke Wunderlich das Projekt. Ein Ereignis: Da wird etwas bewusst gemacht, das nicht nur eine verpflichtende Tradition ist. Vielmehr ein Weckruf zum Neuaufbruch.

Eine auffälligere Plakatierung der Ausstellung selber wäre anzuraten. Und: Prachtvoll in Reih und Glied anonym aufgereiht sind Exponate mit enormer Ausstrahlung. Eine Namensnennung und Datierung würde diese konkretisieren. Wenn er sich selbst mit eigenen Plakaten hinter der Agenturbezeichnung »anschlaege.de« verbirgt, ist das schon schlimm genug. Nur was in einer auf Massenkonsum getrimmten Gesellschaft künstlerisch namhaft gemacht ist, wirkt authentisch.

Bis 7. Oktober. Ab dem 5. Juli ist im Berliner Bröhan-Museum außerdem die Doppelausstellung »2 x 68: ›Das französische Grafikerkollektiv Grapus‹ und ›Jablonec 68 - Der Ost-West-Schmuckgipfel‹« zu sehen.

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