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Zu krank zum Durchhalten
Studie: Nur die Hälfte der Beschäftigten erreicht das Renteneintrittsalter berufstätig
Mehr als jeder zweite Erwerbstätige scheidet vor dem offiziellen Renteneintrittsalter aus dem Berufsleben aus. Dies trifft besonders häufig auf Beschäftigte zu, die in körperlich besonders belastenden Berufen tätig sind. Das geht aus dem Gesundheitsreport 2018 der Techniker Krankenkasse (TK) hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Der Report basiert auf der Auswertung der Daten von über fünf Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten TK-Mitgliedern im Zeitraum zwischen 2000 und 2017.
Es mache »keinen Sinn, das Renteneintrittsalter immer weiter hochzuschrauben, wenn schon heute nicht einmal jeder Zweite bis zu dieser Grenze arbeitet«, erklärte TK-Chef Jens Baas. Ein höheres Renteneintrittsalter bedeute lediglich eine Absenkung des Rentenniveaus, da eine Frühverrentung erhebliche Abschläge beinhalte. Zumal vor allem ältere Beschäftigte über 60 Jahre deutlich überproportional von längeren Zeiten der Erwerbslosigkeit betroffen sind, was sich zusätzlich rentenmindernd auswirkt. Signifikante Unterschiede bei der Frühverrentung zeigen sich auch bei einer Aufschlüsselung nach Bildungsniveau und Berufsgruppen. So ist das Risiko einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bei Beschäftigten in der Baubranche 1,83-mal höher als im Durchschnitt. Ähnlich gefährdet sind Beschäftigte im Verkehrswesen und anderen Logistikberufen wie bei Lagertätigkeiten. Dagegen tragen Angestellte in Verwaltung, Wissenschaft, Medien und Kunst ein geringes Risiko der gesundheitsbedingten Frühverrentung.
Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf Schul- und Berufsabschlüsse. Beschäftigte ohne oder mit einfachem Schulabschluss beziehungsweise ohne anerkannte Berufsausbildung sind besonders stark betroffen. Aber auch Mittelschulabsolventen und Facharbeiter liegen über dem Durchschnitt. Am anderen Ende der Skala befinden sich Berufstätige mit Promotion, gefolgt von Hochschulabsolventen.
Unabhängig von der höheren Wahrscheinlichkeit der Frühverrentung gibt es zwischen den Beschäftigten auch erhebliche Unterschiede bei der Krankheitshäufigkeit, bei der Verabreichung von Medikamenten und nicht zuletzt bei den Gründen für die Unterbrechung der Erwerbsbiografie. Während gut Qualifizierte häufig Elternzeiten in Anspruch nehmen oder eine Arbeitspause für den Erwerb eines höheren Abschlusses einlegen, ist in den »unteren« Gruppen vor allem phasenweise Arbeitslosigkeit der Grund für eine Unterbrechung in der Erwerbsbiografie.
Für TK-Chef Baas ist ein umfassendes Gesundheitsmanagement in allen Bereichen der Arbeitswelt deswegen der Schlüssel für ein »gesundes und erfülltes Berufsleben bis zum Renteneintritt«. Dabei müssten Politik, Wirtschaft und Krankenkassen an einem Strang ziehen. Ein positives Beispiel aus der Wirtschaft ist für die TK etwa das Max-Delbrück-Zentrum für molekulare Medizin in Berlin. Dieses bietet ein umfassendes kostenfreies Kursprogramm mit Fitnessstudio, Laufgruppen, Yoga, Pilates, Stressseminaren und regelmäßigen Gesundheitstagen an. Und bei den Berliner Wasserbetrieben wurde ein System entwickelt, um auf individuelle gesundheitliche oder auch familiäre Probleme von Mitarbeitern gezielt eingehen zu können.
Doch das bleiben »Leuchttürme«, räumt Baas ein. Einem 64-jährigen Dachdecker mit Gelenkproblem könne man »wohl kaum mit einem Yogakurs kommen«. Neben einem massiven und vor allem verbindlichen Ausbau des Gesundheitsschutzes und der Prophylaxe müsse daher auch über Änderungen am starren System des Renteneintrittsalters nachgedacht werden, um gesundheitlich besonders belasteten Beschäftigten einen früheren Ausstieg aus dem Berufsleben ohne Abschläge zu ermöglichen.
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