Kulissenschieber wie anno 1687

Gothaer Ekhof-Theater ist das älteste funktionstüchtige Barocktheater der Welt

  • Antje Lauschner, Gotha
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Glöckchen ertönt - für die Kulissenschieber im Untergrund des Ekhof-Theaters im Gothaer Schloss Friedenstein das Zeichen: In wenigen Augenblicken ist ein Kulissenwechsel auf der Barockbühne fällig. Beim Signal »Achtung« löst und knotet Luca Koch blitzschnell mit weiteren Männern die Knoten an Seilen, mit denen die Kulissen über Rollen mit sogenannten Wellbäumen verbunden sind. Einzig mit purer Muskelkraft werden die Wellbäume gedreht.

In Sekunden und fast geräuschlos verwandeln sich so vor den Augen der Zuschauer des Ekhof-Festivals Seitenbühnen und Prospekte. Aus der blau-grauen Felslandschaft in der Serenata »Marc’Antonio e Cleopatra« von Johann Adolf Hasse (1699-1783) wird ein grüner Park mit Wegen und Skulpturen. Möglich wird dies durch Metallschlitze, in denen die Holzkulissen hin und her gleiten. Zehn Männer pro Vorstellung sind nötig, damit die Verwandlung auf den Punkt genau mit der Vorstellung übereinstimmt.

Seit 1687 ist das in dem kleinen Theater in Westturm des Schlosses so, nachdem Herzog Friedrich I. die damals modernste Theatertechnik in dem beklemmend niedrigen Kellerraum einbauen ließ. »Es ist das älteste funktionstüchtige Barocktheater der Welt mit vollständig erhaltener hölzerner Bühnenmechanerie«, erzählt Luca Koch begeistert, der auf das Wirtschaftsgymnasium Gotha geht und sich in den Ferien einen Wunsch erfüllt. Ihn faszinierten Schlösser - und mit so einer alten Technik arbeiten zu dürfen, sei schon etwas ganz besonderes.

14 Mal wird das Stück, das 1725 in Neapel mit den damals besten Sängern uraufgeführt wurde, noch bis Mitte August zu sehen sein. Bis auf wenige Restkarten sind alle verkauft, sagt der Sprecher der Stiftung Schloss Friedenstein, Marco Karthe. Jahrhundertealte Bühnentechnik verbunden mit Musik- und Theaterinszenierungen im historischen Stil faszinierten. Viele Besucher kämen von weit her.

»Wir könnten noch weit mehr Aufführungen und Konzerte in dem 165 Zuschauer fassenden Barocktheater anbieten«, sagt er. »Aber wir müssen an die alte Holzkonstruktion denken: Sie leidet durch Aufführungen.« Am Bühnenrand stehen noch die alten Leitern, an denen die Halter für die Kerzen hingen, die den Raum in farbiges Licht tauchten. Dass es in dem Barocktheater über die Jahrhunderte nicht brannte, wie in vielen anderen Spielstätten in Deutschland und Europa, sei auch einer ständigen Brandwache zu verdanken.

»Wir setzen auf kompakte und exklusivere Vorstellungen«, so Karthe. Zum 22. Festival in der aufwendig restaurierten Spielstätte ist es neben Konzerten der antike Stoff um die letzte ägyptische Pharaonin Kleopatra (69 bis 30 v. Chr.) und den römischen Feldherren Marcus Antonius (etwa 86 bis 30 v. Chr.).

Hasse war zu Lebzeiten einer der berühmtesten Opernkomponisten. Er inspirierte Haydn und Mozart. »Die extrem qualitätsvolle Musik schrieb er für einen reichen Neapolitaner«, erzählt Regisseur und Choreograf Milo Pablo Momm, der auf historische Barockaufführungen spezialisiert ist. »Die beiden Partien besetzte Hasse mit herausragenden Sängern - und wie damals üblich: die Cleopatra mit einem Countertenor, Marc’Antonio mit einer Frau.« Karte: »Die Gothaer Inszenierung sollte ganz in dieser Tradition stehen.« Der Countertenor sei jedoch erkrankt, so dass Katharina Göres die Rolle übernahm. Die Hosenrolle Marc’Antonio singt und spielt Julia Böhme, die wie Göres die »historische Barockgestik« mit Mimik, Arm- und Körperhaltung exzellent beherrscht: Marc’Antonio etwa mit geschwellter Brust in goldener Rüstung und Helm ganz der stolze Feldherr, der auf Drängen Cleopatras in eine erneute Schlacht zieht. Er verliert sie.

Am Ende bleibt beiden, die sich zwischen Machtanspruch und Liebe aufgerieben haben, nach der Tötung des Sohnes nur der Tod. Sie steigen in weißen Totenhemden in die Gruft. In Gotha verschwinden sie im Bühnenboden - durch eine Bodenversenkung, die wie Windmaschine und Donnerschacht zu den Höhepunkten vor 300 Jahren gehörte. dpa/nd

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -