• Politik
  • Ein Jahr nach G20 in Hamburg

Mehr als Gewalt

Über die Tage und Nächte von Hamburg und dem, was von ihnen bleibt. Eine Spurensuche in der radikalen Linken

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 5 Min.

Kein Durchatmen gab es nach Ende des G20-Gipfel in Hamburg für diejenigen, die für die vielfältigen Proteste gegen das Treffen der Staatslenker mobilisiert hatten. Ein CDU-Politiker sprach davon, der »linksextreme Terror« sei »so schlimm« wie der von Nazis und Islamisten, und eine unheimliche Allianz aus AfD, CDU und CSU forderte bundesweit die Schließung linker Zentren wie der Roten Flora in Hamburg oder dem Conne Island in Leipzig. In Nordrhein-Westfalen schaffte die regierende Koalition aus CDU und FDP unter dem Eindruck der Ereignisse während des Gipfels gemeinsam mit den Stimmen der AfD die erst ein Jahr zuvor eingeführte Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder ab.

Kurzum: Es wurde mobil gemacht gegen alles, was vermeintlich links ist. Gerechtfertigt unter dem Eindruck von »bürgerkriegsähnlichen Zuständen«, die es während des Gipfels in der Schanze gegeben haben soll. Möglich gemacht hatte dies eine Debatte über »Gewalt«. Die Debatte sollte die Linke als Ganze diffamieren. Die Distanzierungsgebote, die überall eingefordert wurden, waren keine ernst gemeinten Aufforderungen, sondern politische Druckmittel. Schließlich fordert auch niemand von irgendwem, sich von Polizeigewalt zu distanzieren.

Ein Jahr G20 Hamburg - Ein Rückblick

Aber auch die verschiedenen linken Bewegungen fanden keine adäquate Antwort auf Enddifferenzierung und Abstandsforderungen. Statt wie geplant ein »jenseits des globalen Kapitalismus« aufscheinen zu lassen und schlicht »die Möglichkeit des Nichteinverstandenseins« vorzutragen, wurden bald alle Anstrengungen darauf gerichtet, den Beweis zu erbringen, dass es Polizeigewalt gegeben hat und das die Gewalt, die von den »eigenen Leuten« ausgegangen sei, entweder das Aufscheinen eines legitimen revolutionären Verlangens sei, gar nicht von Linken ausging oder strukturelle Ursachen habe. Georg Diez fasste die Beziehung zwischen diesen Polen auf einen Satz im »Spiegel« zusammen: »Es scheint, als seien fast alle zufrieden, dass sie über Gewalt streiten dürfen, dann müssen sie nicht über Gerechtigkeit reden.«

Wie schaut aber die außerparlamentarische Linke, ein Jahr nach den Ereignissen in Hamburg, auf die Gipfeltage? Was ist geblieben, jenseits von Distanzierungsgeboten und Gewaltdebatten?

Anna Modotti hat zusammen mit dem Bündnis »Ums Ganze« während der Gipfeltage eine Blockade des Hamburger Hafens durchgeführt. Um »die Logistik des Kapitals zu unterbrechen.« Trotz aller Repression war der Protest während der Gipfeltage für sie ein Erfolg, denn er habe gezeigt, dass es »möglich ist, einen Punkt gegen diesen massiven Repressionsapparat zu machen. Der Ablauf des Gipfels wurde gestört und damit auch die mediale Inszenierung eines reibungslosen Ablaufs verhindert«.

Unter der Oberfläche
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Emily Laquer ist in der Interventionistischen Linken aktiv und war während der G20-Proteste als Pressesprecherin der Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20« Gesprächspartnerin diverser Medien und Talkshows. Sie meint, der Erfolg der Proteste läge vor allem in dem Aufscheinen von Solidarität und Demokratie. Als der Hamburger Senat für US-Präsident Donald Trump sein Gästehaus zur Verfügung stellte, aber die Campwiesen der Protestierenden räumen ließ, öffneten etliche Hamburger ihre Wohnungen, Kirchen ihre Grundstücke, das Fußballstadion und das Schauspielhaus als Schlafplatz für Aktivisten. »Das sind Erfahrungen von praktischer, widerständiger Solidarität und Freundschaften über die politischen Spektren hinaus, die nach dem Gipfel bleiben werden«, meint die Aktivistin.

Sie glaubt, das Ziel der Polizei sei es gewesen, Angst zu verbreiten - »vor den Demonstranten und vor der Staatsgewalt.« Der Erfolg der Demonstrationen hätte darin gelegen, sich diesen Tendenzen zu widersetzen. »Wir haben Mut gemacht und uns geweigert, den Ausnahmezustand zu akzeptieren«, behauptet Laquer.

»Es wird keine einfachen Antworten geben«
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Anne vom »ums Ganze«-Bündnis benennt auch negative Auswirkungen der Gipfelproteste: »Soziale und politische Konflikte werden zunehmend polizeilich bearbeitet.« Die Entwicklungen stehen für sie im Kontext einer »insgesamt zu beobachtenden autoritären Wende der westlichen Demokratien.« Erschreckend, wenn auch nicht überraschend, fand sie es, mit welcher Lust sich in der Folge der Proteste Hass auf die Protestierenden Bahnen brach. »Darin zeigt sich eine Brutalisierung der Gesellschaft, wie sie sich auch in der Diskussion um Geflüchtete feststellen lässt.«

Auch Laquer ist sich dieser Tendenz bewusst: »Natürlich wird das Bild der Krawalle jetzt benutzt, um die Polizeigewalt zu rechtfertigen, harte Urteile zum Teil auf dünner Beweislage zu verhängen, aber auch um härtere Polizei- und Strafgesetzte durchzusetzen.« Das alle sei Teil einer »autoritären Rechtsentwicklung«, die global stattfindet. »Die G20-Proteste waren ein Meilenstein der deutschen Protestbewegung, weil sie die ersten Massenproteste unter diesen neuen Bedingungen waren«, meint die Aktivistin. Ihre Bedeutung liege darin, dass man sich nicht einschüchtern oder spalten lassen werde.

Laquer zeigt sich gewiss: »Wir werden auch in kommenden Auseinandersetzungen auf die Erfahrung zurückgreifen können, uns autoritären Zuständen nicht zu unterwerfen, sondern sie geschlossen und massenhaft zurückzuweisen.«

Ein ähnliches Fazit zieht auch Modotti. Sie meint, natürlich würden ihr die »völlig irren« Fahndungsmethoden und die »drakonischen« und »politisch motivierten Strafmaße« Angst machen, die sich gegen G20-Gegner richten. Aber: »Dagegen hilft eben nur mehr und nicht weniger Solidarität und Widerstand«.

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