Genug gekreuzigt!
Michael Hametners Buch über Bernhard Heisig und Gudrun Brüne
Vielleicht wäre die Realität schön, wenn wir ihre Unordnung akzeptierten, statt diese zu verheimlichen oder tilgen zu wollen. Denn wo Änderung gelingt, dort keimt neue Unordnung. Aber wie nur souverän bleiben im Unerlösten?
Durch Kunst! Sie übersetzt das Unerträgliche ins Ertragbare. Am unerträglichsten ist die Hoffnung: Sie lässt sich nicht abstellen. Sie grünt durch jeden Beton. Sie ist das Versprechen, das lügt - und wird dringender benötigt als Wahrheit. Die Unerträglichkeit der Hoffnung besteht darin, dass wir ihre Täuschungsmanöver geradezu herbeisehnen. Michael Hametner hat ein Buch über Bernhard Heisig und Gudrun Brüne geschrieben, »Ein Künstlerpaar über 50 Jahre«, es ist ein Buch über Hoffnungen - des Zweisamen. Das sich im Gesellschaftlichen bewähren möchte - aber sich mehr und mehr bewehren muss. Er, Maler, Hochschullehrer und Verbandsfunktionär, Jahrgang 1925; sie, Buchbinderin, Malerin, Dozentin, Jahrgang 1941. Das Leben an der Seite eines großen Künstlers, beginnend mit Modellsitzen an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Heisig, »kraftvoll im Kittel, mit Baritonstimme«, er wird dieser jungen Frau Lehrer, Geliebter, Partner.
Der Band erzählt - in biografisch angelegten Kapiteln, in Interviews mit Weggefährten - vom Werden einer innigen, konfliktbewegten Beziehung. Da ist Heisigs früher Satz, Gudrun Brüne heiraten zu wollen, aber erst 1991 ist es soweit. Kalendarischer Ausdruck eines »Beziehungs-Vermeidungs-Programms« (Hametner), dem wohl die Furcht vor einer Menschheitserfahrung zugrunde liegt: Was geliebt wird, steht immer auch in Gefahr, zerstört zu werden. Ins Positive gekehrt: Heisig und Brüne sind ein Paar aus Gefolgschaft und Eigensinn, Gemeinschaft und Abgrenzung.
Was sich vollzieht, ist das Abenteuer einer Selbststeigerung. Gudrun Brüne, lange Zeit - auch malerisch - im Schatten ihres Lebensmenschen, formt mählich ihr Unverwechselbares. Als sie aufgebracht gesteht, auch sie wolle ihren Stil, geht er hinaus, kommt mit einem Besen zurück: »Da hast du deinen Stiel.« Witz einer Beziehung, die auch Prüfung bleibt, wie sehr man etwas aushält. Wenn er malt, reagiert er lautstark auf ihre Vorschläge: »Nein, Quatsch!« Später dann: »Hattest recht!«
Brüne - sie bewundert Paula Modersohn-Becker - schaut auf ihren Selbstbildnissen wie auf Fotos, die dem Band beigegeben sind: die Lippen trotzig, als hätten sie dem Schweigen Treue geschworen; in ihren Zügen lebt etwas wissend Abgekehrtes. Sie malt zunächst Porträts, in Industriebetrieben, auf einer Werft. Bis jene so ganz anders bedrängenden Bilder entstehen, die mit dem Fund alter Puppen auf dem Leipziger Dachboden der Großmutter beginnen: »Das Ende der Spielzeugwelt«. Puppen, nackt, werden zu gepeinigten, verbogenen, so gar nicht leblos klagenden Wesen, mit denen sich Welt-Theater erzählen lässt, wie es Kleists Marionetten vorgeben. Und Masken stellen in dieser konturierten, nunmehr farbentschiedenen Malerei die Lebensfrage: Sind sie eine Krankheit oder eine Leistung des Gesichts?
Brüne und Heisig - zwei Formwelten, ein Sinn: Es hilft nur das, was dich aufreißt bis zu einem Grund, der den billigen Halt verweigert. Du siehst diese Bildtafeln, die das Buch begleiten, und bist getroffen: von Kunst, die sich nicht in autonomer Experimentierlust begnügt. Weil sie an mehr scheitern will als nur an einer kleinen Welt. Ob nun Ost oder West. »Genug gekreuzigt« heißt das Bild von Gudrun Brüne, auf dem sich ein Körper vom Todespfahl reißt, die eine zernagelte Hand schon frei, zur Faust geballt.
Ost oder West? Nun, so spannungsfrei egal ist das nicht. Ein Georg Baselitz plustert sich zur Frechheit auf, Heisig male, wie Tübke oder Mattheuer oder Sitte, »grottenschlecht«. Ein Bild im Palast der Republik wird Anlass, Heisig die Mitarbeit an der Ausgestaltung des Bundestags verweigern zu wollen. Man nennt den Mann, der Altkanzler Helmut Schmidt porträtiert hatte, einen »Staatsmaler«. Diesen Künstler, der als Student die Leipziger Schule verlassen hatte, weil ihn stalinistische Kulturpolitik abschreckte. Der später als Rektor abberufen wurde, weil er nicht bereit war, Parteiergebenheit über Fachkenntnisse zu stellen. Wo ihm Siegeszeichen »unterliefen« (Porträt eines Brigadiers), dort übermalte er, bis es das jeweilige Bild gar nicht mehr gab. Lebens Pointenschinderei: Besagtes Arbeiterporträt war längst schon »zerstört«, als es zur 20-Pfennig-Briefmarke wurde. Heisig meinte, es sei besser, die Macht hinter sich als vor sich zu haben. Michael Hametner spricht von Malers Glauben an die »Fürstenerziehung, wo er hätte ungläubig werden müssen«.
Dieses Künstlerbuch ist hineingeschrieben in unsere Zeit der Auskühlungen: Erledigt die Ära, da noch Großes erfühlt werden könnte? Lässt sich die einstige Ergriffenheit von Erwartungsschwung nicht wiederbeleben? Johannes Heisig, Sohn aus erster Ehe, spricht über die »unübersichtliche Welt«, in der das »Pathos der Einzelstimme« verhallt. Im Wissen darum war Bernhard Heisig »am Ende seiner Tage kein glücklicher Mensch«. Und doch blieben die Hauptworte des arbeitenden Vaters: »Nahkampf« und »Reibungsfeld«. Und Maler Sighard Gille bekräftigt, in Heisigs Kunst spüre man »den ewigen Schrei: Warum!«
Ein Schrei ins eigene Leben hinein. Der junge Heisig ist Mitglied der SS-Division »Hitlerjugend«. Die eintätowierte Blutgruppe am Arm lässt er sich später herausoperieren, aber: 1981 findet eine französische Zeitschrift die Wahrheit. Tiefe Beschämung. Was bleibt, wenn du den Blick aus dem Buch hebst: Bestätigung, dass nichts untiefer ist als die eigene Biografie. Die Anlässe zum Stummbleiben sind identisch mit den Anlässen zum Reden - das Leben hat für den Wechsel von einem zum anderen sehr oft die falschen Zeitpunkte parat. Hametner: Muss so ein fanatischer, idealistisch wühlender Mensch wie Heisig, der nach schwerer Kriegsverletzung sofort wieder kämpfen wollte, »nicht ein Leben lang Angst vor sich selbst haben?« Heisig wird das Erfahrene »als Wut in seine Bilder malen«.
Diese Bilder. Diese Wut. Druck loswerden. Druck wachhalten. Mehrere Tafeln: »Gestern und in unserer Zeit«. Collagiert: Panzerketten, Mutter Courages Wagen, Massendemonstrationen, ein Kind vor bemalter Mauerwand. Das Simultane von Alltag und Grauen. Schön. Schön? »Die Kunst frisst den Gedanken«, sagt Heisig. Denn: Um das Grausame zu offenbaren, bedarf es der Schönheit. Das ist die Paradoxie der Kunst. Kunst, bei Heisig geschlagen mit dem geradezu apokalyptischen Temperament zur klaren Sicht auf die eigene Unvollkommenheit.
Bernhard Heisig und Gudrun Brüne: Malerei entlang am Kernschmerz eines Jahrhunderts. 1982 hatte Günter Grass gesagt. »In der DDR wird deutscher gemalt.« Weil die sogenannte westliche Moderne bekanntlich alles Gewesene verabschiedet hatte und auf leer geräumter Fläche ihre selbstvergessenen Spiele betrieb. Immer weniger hat Heisig die Schikanen von SED- und Verbands-Oberen ertragen. Aber: Seine Frau war es, die ihn anstoßen musste, bei der Biermann-Ausbürgerung nicht mit »Wischiwaschi« zu taktieren, sondern unmissverständlich zu protestieren.
Leben in Leipzig und im Havelland (Storchengegend, Sternenhimmel vom Feinsten). Heisig, der Schwierige. Den ein unangemeldeter Besuch in Rage bringen kann, ein unaufgeräumter Tisch auch. Zum Frühstück mit Gudrun: klassische Musik. Im Atelier der Fernseher, er brauchte laufende Bilder. Und manchmal ist Heisig erschreckend praktisch. Sein Fahrer Wolfgang Tränker berichtet von einem Rohrbruch: »Als ich ankam, stand er in einer DDR-Badehose bis zu den Knien im Wasser und wedelte mit einem 5000-Mark-Bild das Wasser in Richtung Abfluss.«
2011 stirbt Heisig. Hametner über die Witwe: »Seit ihrem Tränenausbruch, als sie zum ersten Mal ihr Alleinsein spürte, hat sie nie wieder geweint.« Solche Sätze wirken in keinem Moment unangemessen, Sphäre verletzend. Hametner ist genau, gewissenhaft, gefühlssicher, seine Gemessenheit hat Kultur. Und natürlich hat er Verständnis für emigrierte Maler wie Hans-Hendrik Grimmling, der Heisig im Herbst 1989 im Westberliner Gropiusbau in die Parade fährt. Er empfindet die Präsentation dort als unbotmäßige Feier der DDR, während im Osten die Straße rebelliert. Das Nichtheilwerdenkönnen der Welt: Jeder hat recht, jeder irrt.
So viele Fragen. Nach den Wunden, der Würde, den Wagnissen, den Wundern. Der oftmalige Freundesgast Christoph Hein aber weiß Heisigs Frage, die unbedingt zum Leben gehört: »Wo ist der Champagner, Gudrun?«
Michael Hametner: Bernhard Heisig und Gudrun Brüne. Ein Künstlerpaar über fünfzig Jahre. Ateliergespräche. Mitteldeutscher Verlag. 192 S. m. Farbabbildungen, geb., 25 €.
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